Archiv der Kategorie: Gleichwertigkeit

Die Berufsbildung steht vor vielen Herausforderungen

Die Berufslehre zeigt sich als widerstandsfähig. Trotz der durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise wurden im Sommer 2020 über 76‘000 neue Lehrverträge abgeschlossen. Das sind sogar etwas mehr als 2019. Trotzdem darf die Berufsbildung aus Sicht von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, die Hände nicht in den Schoss legen. Denn es gibt viele Herausforderungen, welche die Berufsbildung zu bewältigen hat.

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Vorentwurf zum Bundesgesetz über die Gesundheitsberufe: Vernehmlassung

Gerne nehmen wir Stellung zum Vorentwurf zum Bundesgesetz über die Gesundheitsberufe. Als positiv in diesem Entwurf nehmen wir insbesondere folgende Punkte wahr:

  • Die Absolventinnen und Absolventen der Höheren Fachschule Pflege werden in Bezug auf die selbständige Berufsausübung gleich behandelt wie die AbsolventInnen und Absolventen einer Fachhochschule. Diese Regelung ist sowohl sachgerecht wie auch notwendig und sinnvoll.
  • Mit dem Gesundheitsberufegesetz erhalten die Bachelorstudiengänge der vom Gesetz definierten Gesundheitsberufe an Fachhochschulen ein klares Profil. Dies ermöglicht einen schon lange notwendigen Fortschritt in Bezug auf diese Bildungsstufe.
  • Das Gesundheitsberufegesetz schliesst die Lücke, welche durch das Wegfallen des Fachhochschulgesetzes entsteht und ergänzt durch die Programmakkreditierung das Hochschulförderungs- und –koordinationsgesetz HFKG, das primär eine Systemakkreditierung vorsieht.

Wir möchten allerdings auch auf ein Problem hinweisen, welches wir mit dem Gesetz haben:
Der Titel des Gesetzes bringt Verwirrung. Das haben wir in verschiedenen Gesprächen mit Personen aus dem Gesundheitswesen gespürt. Der Titel verspricht mehr als er hält. Das Gesetz regelt nicht alle Gesundheitsberufe und nicht alle Stufen. Es ist daher allenfalls ein Bundesgesetz über einen Teil der Gesundheitsberufe. Für diesen Teil ist das Gesetz in Ordnung und ein Fortschritt. Nach unserer Meinung braucht das Gesetz aber folgende Ergänzungen:

  • Im Artikel 2 braucht es einen Zusatz, der folgenden Wortlaut haben kann: „Der Bundesrat kann weitere Berufe im Bereich des Gesundheitswesens, deren Ausbildung auf Tertiärstufe stattfindet, als Gesundheitsberufe nach diesem Gesetz bezeichnen und diesem Gesetz unterstellen.“ Mit einem solchen Zusatz macht das Gesetz deutlich, dass es sich bei den im Artikel 2 erwähnten Berufen nicht um eine abschliessende Liste von tertiären Gesundheitsberufen handelt und dass zur Sicherung der Gesundheitsversorgung und deren Qualität weitere Gesundheitsberufe dem Gesetz unterstellt werden können und müssen.
  • In ähnlichem Sinn ist es auch nötig, dass nicht nur die Bachelorstufe, sondern auch die Masterstufe ins Gesetz aufgenommen wird. Dies schafft eine bessere Transparenz in Bezug auf die Kompetenzen der verschiedenen Stufen. Dies ist gerade im Hinblick auf eine gut funktionierende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen wichtig. Zudem kann durch die Programmakkreditierung, die auch für die Masterstudiengänge vorzusehen ist, die Qualitätssicherung verbessert werden.
  • Ein besonderes Anliegen haben wir in Bezug auf die Logopädie. Die Logopädinnen und Logopäden werden auf dem Tertiärniveau ausgebildet und sind mit denen im GesBG aufgeführten Berufe vergleichbar. Die Situation der Logopädie ist aber oft unklar, was die Ausbildung und die Berufsausübung betrifft. Eine Einbindung in das GesBG könnte zu einer Vereinheitlichung der Ausbildung und der Berufsausübung sowie zur Verbesserung der Qualität führen. Wir beantragen daher eine Aufnahme der Logopädie in das GesBG.
  • Was die Frage nach einem Schweiz weiten Register für die vom Gesetz geregelten Gesundheitsberufe angeht, so unterstütz Travail.Suisse ein Register, das ausschliesslich auf Stufe Bund geführt wird. Eine solche Regelung nimmt die Mobilität der Mitarbeitenden im Gesundheitswesen ernst. Die Regelung soll insbesondere auch eine angemessene Weiterbildungspflicht vorsehen, die garan-tiert, dass einmal erworbene Kompetenzen laufend aktualisiert werden, gemäss den fachlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen.

Bruno Weber-Gobet, 11.04.14

Gleichwertige Anerkennung von allgemein bildenden und berufsbezogenen Bildungswegen

Die Forderung der Bundesverfassung

Der Text der Bundesverfassung hat gegenüber Bund und Kantone klare Forderungen: Bund und Kantone „setzen sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben dafür ein, dass allgemein bildende und berufsbezogene Bildungswege eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung finden“. Hinter dieser Verfassungsnorm verbirgt sich eine wichtige Einsicht: Eine Gesellschaft und (Volks-)Wirtschaft ist gut beraten, ein differenziertes Bildungssystem zu pflegen, in dem so wohl theoretische wie praktische Ausbildungen auf den unterschiedlichsten Niveaus angesiedelt sind. Die Stärken eines solchen Systems springen in die Augen:

  • In einem differenzierten System können die Fähigkeiten und Neigungen jeder einzelnen Person besser genutzt werden. Jeder und jede hat viel eher die Chance, einen Ausbildungsweg zu beschreiten, der seinen/ihren Talenten entspricht.
  • Ein differenziertes Bildungssystem ist viel geeigneter, in einer grossen Breite die in einer Gesellschaft und Wirtschaft vorhandenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen weiterzugeben. Dies wird noch gestärkt, wenn das praktische Wissen in unterschiedlichen Betrieben weitergegeben wird und die Vermittlung nicht allein an die Schulen delegiert ist.
  • In einem stark differenzierten Bildungssystem befinden sich Personen mit unterschiedlichen Kompetenzen und einem unterschiedlichen Kompetenzenmix auf dem Arbeitsmarkt. Das ermöglicht die Zusammensetzung von gemischten Teams. Die Innovationsfähigkeit der Schweiz hängt auch von diesem Phänomen ab.

Gegenwind

Dass die Verfassung die Forderung nach einer gleichwertigen gesellschaftlichen Anerkennung der allgemein bildenden und der berufsbezogenen Bildungswege aufgenommen hat, ist nicht zufällig. Zu stark ist die Gefahr, dass der allgemein bildende Weg als Königsweg angesehen wird. Man verbindet mit ihm Karriere, Arbeitsplatzsicherheit, hohes  Einkommen, hohes Ansehen und grosse Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Wer immer daher die Möglichkeit hat, den allgemeinbildenden Weg zu beschreiten, sollte dies tun – so die weitverbreitete Meinung. Man übersieht dabei aber geflissentlich, dass dieser Standpunkt in der Schweiz vielleicht vor 25 Jahren noch Gültigkeit hatte, heute aber überholt ist[i]. Dank der Positionierung der höheren Berufsbildung im Tertiärbereich, dem Aufbau von Berufsmaturität und Fachhochschulen und einem durchlässigen Bildungssystem versprechen die beiden Bildungswege vergleichbare Chancen, wenn sich jemand ins Zeug legt.

Aufgabe von Bund und Kantonen

Die Verfassung verlangt von Bund und Kantonen, sich für die gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung von allgemeinbildenden und berufsbezogenen Bildungswegen zu engagieren. Das heisst in der heutigen Situation zuerst einmal „Kommunikation“.

  • Kommunikation: Bund und Kantone müssen zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt über das heutige Bildungssystem mit seinen vielfältigen Durchlässigkeiten offensiv kommunizieren. Man muss seine Stärke aufzeigen, die Chancen benennen, die es für den Einzelnen wie auch für Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt hat. Man muss die Gleichwertigkeit in der Berufswahlphase zum Thema machen und dabei sowohl die Jugendlichen wie auch ihre Eltern, die oft noch in alten Bildern leben, abholen. Man muss das schweizerische Bildungssystem den internationalen Firmen nahebringen und auch die PolitikerInnen vom Wert der beiden Wege überzeugen.
  •  Politik der gleichlangen Spiesse: Bund und Kantone müssen sich bei ihren bildungspolitischen Entscheidungen fragen, ob sie die Gleichwertigkeit der beiden Wege berücksichtigen oder nicht. Das betrifft natürlich zuerst einmal die Finanzen. Es darf nicht sein, dass der erkannte Reformbedarf der Berufsbildung, insbesondere der Reformbedarf der höheren Berufsbildung, ausgeblendet wird, nur weil man weiss, dass die Reformen nicht kostenneutral umgesetzt werden können. Es ist Zeit, die höhere Berufsbildung auf eine neue finanzielle Basis zu stellen, damit alle Studierenden in diesem Bereich von spürbaren staatlichen Unterstützungen profitieren können. Zudem sind auch sprachliche Korrekturen vorzusehen. Zum Beispiel muss in Zukunft für die Jugendlichen auch sprachlich klar sein, dass die A-Klasse auf Sekundarstufe I (heute: Progymnasialklassen) nicht allein auf das Gymnasium, sondern auch auf die Berufsmaturität vorbereitet. Es wäre daher sinnvoll, wenn in Zukunft die A-Klasse „Promaturitätsklasse“ heissen und im Rahmen der Berufswahlvorbereitung  sowohl der allgemeinbildende wie auch der berufsbezogene Bildungsweg thematisiert würden.
  •  Optimierung der Durchlässigkeiten: Bei der Entwicklung des Bildungssystems müssen Bund und Kantone darauf achten, dass die Durchlässigkeit im System verbessert wird. Beide Wege – der allgemeinbildende wie auch der berufsbezogene Bildungsweg – profitieren, wenn das Bildungssystem durchlässig ist. Die ersten beruflichen Entscheidungen, die üblicherweise mit 15 Jahren getroffen werden, führen in einem durchlässigen Bildungssystem nicht mehr in eine Sackgasse. Sie können im Verlaufe des Lebens dank der Durchlässigkeit korrigiert werden. Zu verbessern sind vor allem die Durchlässigkeiten im tertiären Bildungssystem: zwischen der höheren Berufsbildung, den Fachhochschulen und den Universitäten.
  • Internationale Positionierung der höheren Berufsbildung: Die höhere Berufsbildung ist ausserhalb der Schweiz und bei internationalen Unternehmungen in der Schweiz wenig bekannt. Personen mit einem Abschluss der höheren Berufsbildung sind daher auf dem europäischen und internationalen Arbeitsmarkt benachteiligt. Es muss der Schweiz gelingen, diesen AbgängerInnen ein Diplom auszustellen, das den Abschluss der höheren Berufsbildung eindeutig und unmittelbar als Tertiärabschluss ausweist. und zugleich die hohe praktische Professionalität dieser Personen dokumentiert.

Bruno Weber-Gobet 25.02.2013