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Berufsbildung leidet unter Spardruck

Der Bundesrat hat die Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI) 1 für die Jahre 2017–2020 verabschiedet. Das Berufsbildungsbudget des Bundes soll in dieser Phase um 1.4% bei einer angenommen Teuerung von 0.9% steigen. Dieser Vorschlag genügt in keiner Weise. Das bundesrätliche Ziel „Die Schweiz bleibt führend in Bildung, Forschung und Innovation, und das inländische Arbeitskräftepotenzial wird besser ausgeschöpft“, wird so nicht erreicht. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, wird sich dafür einsetzen, dass in der parlamentarischen Debatte Korrekturen vorgenommen werden.

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Die Bildung zukunftsfähig machen

Travail.Suisse führte am 12. September 2015 den alle vier Jahre stattfindenden Kongress durch. Auch das Thema „Bildung“ wurde debattiert. Die wichtigsten Forderungen habe ich in einer kurzen Ansprache festgehalten:

Liebe Kongressteilnehmende, liebe Gäste
Bildung ist einer der zentralen Schlüssel zur Zukunft.
Es muss deshalb auch auf allen Stufen in die Bildung investiert werden.
Die persönliche, die gesellschaftliche und die wirtschaftliche Entwicklung sind eng mit den Bildungsmassnahmen verknüpft.

Aufs Ganze gesehen verfügt die Schweiz heute über ein effizientes und gut funktionierendes Bildungssystem.
Es ist eines der grossen Stärken der Schweiz.
Insbesondere der gute Mix von allgemeinbildenden und berufsbezogenen Bildungswegen trägt einen grossen Teil dazu bei, dass die Schweiz erfolgreich ist.
Dazu kommt eine hohe Durchlässigkeit des Bildungssystems.
Sie ermöglicht den Arbeitnehmenden Weiterentwicklungen und berufliche Spurwechsel.

Die Bildung steht allerdings auch vor Herausforderungen.

Der Schweiz muss es gelingen, das Bildungspotential aller Personen noch optimaler auszunutzen: Sowohl das Potential der Jüngeren wie auch der Älteren, sowohl das Potential der Frauen wie auch der Männer.

Unsere Forderungen im Kongresspapier nehmen darauf Bezug:

Wir wollen, dass die Berufswahlvorbereitung in der Volksschule intensiviert wird.
Wir wollen, dass die Berufswahl weniger durch Statusdenken und soziale Herkunft als vielmehr durch Talent und Motivation beeinflusst wird.
Und wir wollen, dass die berufliche Lehre gestärkt wird durch eine Aufwertung der Allgemeinbildung und eine bessere Qualifikation der Berufsbildner.

Wir fordern, dass die Berufsbildung für Erwachsene gestärkt und ausgebaut wird.
Erwachsene sollen mit weniger Widerständen und Hindernissen zu kämpfen haben, wenn sie einen Berufsabschluss nachholen wollen, wenn sie einen Berufswechsel planen oder nach der Familienphase einen beruflichen Wiedereinstieg wagen.
Wir wollen, dass eine berufliche Standortbestimmung nach 40 zum Standard für alle wird.
Eine Laufbahnberatung nach 40 soll allen Arbeitnehmenden ermöglichen, sich für die zweite Hälfte des Arbeitslebens neu zu positionieren, so dass sie auch nach 50 oder 55 noch voll arbeitsmarktfähig sein können.

Wir erwarten, dass die Betriebe und Branchen den gesetzlichen Auftrag, die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden zu begünstigen, in einem betrieblichen Aktionsplan umsetzen und sozialpartnerschaftlich in Gesamtarbeitsverträgen konkretisieren. Davon sollen auch die Frauen und weniger Qualifizierten profitieren können.

Wir wollen, dass die Höhere Berufsbildung gestärkt wird.
Insbesondere sollen die Kosten für die Studierender Höheren Berufsbildung gesenkt werden.
Studierende in der Höheren Berufsbildung sollen finanziell ähnlich behandelt werden wie Studierenden an Hochschulen.

An den Hochschulen selber sind die Mitwirkungsrechte der Dozierenden auszubauen.
Es muss eine neue Kultur der Mitwirkung entstehen.
Zudem ist alles zu unternehmen, dass die Veradministrierung der Hochschulen zurückgefahren wird.
Sie entzieht der Lehre und der Forschung die notwendigen Gelder.

Dies einige der Schwerpunkte von Travail.Suisse im Bereich der Bildung. Gemäss unserem Motto:
Die Bildung zukunftsfähig machen und die Zukunft durch Bildung ermöglichen.

Selbstbewusstes Auftreten der Berufsbildung

Am 17.-21. September 2014 finden die ersten schweizerischen Berufsmeisterschaften SwissSkills 2014 statt. Gegen 1000 junge Berufsleute aus den verschiedensten Berufen werden um den Schweizermeistertitel in ihrem Beruf kämpfen. Diese Veranstaltung gibt die Möglichkeit, einen interessanten Einblick in die Vielfalt der schweizerischen Berufsbildungslandschaft zu erhalten. Das ist natürlich vor allem für Jugendliche in der Berufswahlphase eine besondere Gelegenheit. Ich hoffe, dass viele Schulklassen und auch Familien diese Chance packen werden.

„Was soll ich werden?“ Über 60% der Jugendlichen in der Schweiz beantworten diese Frage, in dem sie sich für eine Berufslehre entscheiden. Mit dem heutigen Bildungssystem treffen sie eine gute Wahl. Denn das durchlässige Bildungssystem ermöglicht, dass sich mit jeder Lehre die unterschiedlichsten Karrierewege öffnen. Wichtig ist allerdings, dass man nach der Lehre nicht zu lange wartet, in das lebenslange Lernen einzusteigen. Dafür stehen einem Angebote der Weiterbildung, der Höheren Berufsbildung SSB14_Logo_Website_DE-5ae525f69e8b3fdb96d93faa854d165boder – mit einer Berufsmaturität – auch Angebote der Hochschulen zur Verfügung.

Besuch nicht verpassen
Mit den ersten schweizerischen Berufsmeisterschaften in Bern ist es möglich, bei einem Besuch einen spannenden Einblick in die schweizerische Berufsbildungslandschaft zu erhalten. Für vier Tage werden in Bern insgesamt 1000 Arbeitsplätze für die verschiedensten Berufe von den Branchenverbänden aufgebaut. Die Besucher und Besucherinnen können den Teilnehmenden über die Schultern schauen und beobachten, wie sie schwierige Aufgaben ihres Berufes konzentriert und kompetent lösen. Parallel kann man sich an Ständen über die Berufe informieren. Vor allem Jugendliche in der Berufswahlphase sollten dieses Event nicht verpassen.

Selbstbewusste Berufsbildung
Die Berufsbildung weiss um ihren Wert für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Die Berufsmeisterschaften sind ein Ausdruck dieses Selbstbewusstseins. Die Berufsbildung muss sich nicht verstecken, sondern sie darf stolz ihre Bildungsleistung zeigen. Durch die vielfältigen Reformen – ausgelöst durch das neue Berufsbildungsgesetz – sind die heutigen Ausbildungen up to date. Und sie werden up to date bleiben, weil das Berufsbildungssystem einerseits durch ihren engen Arbeitsmarktbezug und andererseits durch die heutige Gesetzgebung innovationsfähig ist und bleibt. Den zukünftigen Herausforderungen darf die Berufsbildung daher mit der Überzeugung begegnen, dass sie sie bewältigen wird.

Präsenz von Travail.Suisse an den Berufsmeisterschaften
Die wichtigsten Akteure an den SwissSkills sind sicherlich die Wettbewerbsteilnehmenden, dann aber auch ihre Begleiter, die Juroren und all die Vertreter der Branchenverbände. Ihre Leistung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Travail.Suisse ist an den SwissSkills mit einem Stand der Jugendkommission Jeunesse.Suisse vertreten. Die Jugendlichen aus den verschiedenen Verbänden von Travail.Suisse werden das Gespräch mit anderen Jugendlichen zum Thema „Die Lehre meistern“ suchen. Zudem hat Travail.Suisse als einziger Arbeitnehmerdachverband im Organisationskomitee mitgearbeitet.

 

Ausländische Lehrlinge: Auf komplexe Fragen gibt es keine einfachen Antworten

Jugendliche aus der EU sollen in der Schweiz vermehrt eine Lehre machen können[i]. Ob die Umsetzung dieser Idee gefördert werden soll, darüber möchte der Bundesrat mit den Verbundpartnern der Berufsbildung eine Diskussion führen. Travail.Suisse begrüsst die gemeinsame Erörterung dieser Frage, möchte aber hier schon darauf hinweisen, dass sich dahinter eine komplexe Frage auftut, die nicht mit einfachen Antworten beantwortet werden kann.

Eine Bemerkung vorweg: Es gibt heute schon Jugendliche aus der EU, die in der Schweiz eine Lehre absolvieren. Vor allem in Grenzregionen (z.B. in der Region Basel) ist dies der Fall. Probleme gibt es diesbezüglich eigentlich keine. Höchstens stellt sich in bestimmten Berufen die Frage, ob die deutschen Lehrlinge genügend Französisch können und die französischen Lehrlinge genügend Deutschkenntnisse haben. Weitere Probleme gibt es keine.
Das, was der Bundesrat diskutieren möchte, geht allerdings über das hinaus. Nicht Jugendliche aus der Grenzregion, sondern Jugendliche aus Staaten mit einer hohen Erwerbslosigkeitsquote wie zum Beispiel Spanien sollen angeworben werden. Ein solches Projekt wirft einige ernsthaftere Fragen auf.

Erstens: Bedarf

Besteht überhaupt ein Bedarf nach einem solchen Projekt? Diese Frage lässt sich auf verschiedene Unterfragen aufteilen:

1. Brauchen die Betriebe/Branchen die Hilfe des Bundes?

Grundsätzlich ist es jedem Betrieb, jeder Branche freigestellt, ausländische Jugendliche für eine Lehre anzuwerben. Die Personenfreizügigkeit ermöglicht dies. Es braucht also, um eine solche Idee umzusetzen, den Bund nicht unbedingt.

Gibt es Branchen und Betriebe, welche gezielt ausländische Jugendliche für eine Lehre anwerben? Warum und wie machen sie es? Welche Erfolge haben sie damit? Warum machen es andere nicht?

Wenn es einen Bedarf von Seiten von Betrieben/ Branchen gibt, dass der Bund tätig werden soll, dann sollte er dies nur subsidiär tun. Möglich wäre eine Unterstützung über den Projektfonds Art. 54/55 BBG. Die Hauptverantwortung trägt aber eine Branche. Der Bund unterstützt nur aufgrund von klar definierten Kriterien.

Welche Kriterien müssten Branchen erfüllen, damit sie vom Bund unterstützt werden?

2. Gibt es bei Branchen und Betrieben einen Bedarf nach ausländischen Lehrlingen?

Die Idee, ausländische Jugendliche für eine Lehre in der Schweiz anzuwerben, ist aus der Tatsache entstanden, dass gegenwärtig rund 7000 Lehrstellen nicht besetzt sind. Für die betroffenen Branchen bedeutet das, dass sie in Zukunft über zu wenige Fachkräfte verfügen werden, wenn der jetzige Zustand längerfristig anhält. Sie müssen daher Strategien finden, wie sie ihrem Fachkräftemangel begegnen. Die Idee, ausländische Jugendliche für eine Lehre in der Schweiz zu gewinnen, macht nur dann Sinn, wenn die Jugendlichen nach der Lehre in der Mehrzahl in der Schweiz bleiben. Ansonsten hat man dann zwar Lehrlinge ausgebildet, aber nicht den Fachkräftemangel bekämpft.

Ist man sich dessen bewusst, dass sich Ausbildungen für die Betriebe und Branchen nur lohnen, wenn die Mehrzahl der Ausgebildeten in der Schweiz bleibt?

3. Gibt es einen Bedarf auf Seiten des Auslandes, z.B. Spaniens?

Die Jugenderwerbslosigkeit in der EU, vor allem auch in südeuropäischen Ländern ist hoch[ii]. Diese Länder stehen in der Pflicht, ihre Wirtschaft besser aufzustellen und mehr und bessere Arbeitsplätze[iii] zu schaffen. Haben diese Länder, z.B. Spanien, ein Interesse an einem Projekt, in dem ihre Jugendlichen in die Schweiz gehen, um dort eine Lehre zu machen? Folgendes scheint mir klar zu sein:

  • Die Schweiz kann nicht Jugendliche in einem anderen Land offensiv bewerben, ohne dass die Regierung jenes Landes damit einverstanden ist.
  • Ein Land wie zum Beispiel Spanien wird einem solchen Projekt nur zustimmen, wenn die Ausgebildeten nach der Lehre wieder in ihr Heimatland zurückkehren.
  • Das andere Land hat nur Interesse an Ausbildungen, welche für ihre wirtschaftliche Entwicklung von Bedeutung sind.

Wie gross ist die Schnittmenge des Interesses der Schweiz und eines anderen Landes, ein solches Projekt durchzuführen?

Zweitens: Erfahrungen

Die Schweiz steht mit ihrer Idee nicht allein da. In Deutschland gibt es schon Erfahrungen damit. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat ein 140-Millionen-Euro-Programm aufgelegt, mit dem gezielt Jugendliche für eine Berufsbildung in Deutschland angeworben und finanziell gefördert werden sollen. Gemäss eines Papiers des Deutschem Gewerkschaftsbund DGB war „die Anwerbung ausländischer Jugendlicher für eine Berufsausbildung in Deutschland keine Erfolgsgeschichte: Projekte im Emsland (Anwerbung spanischer Jugendlicher) und in Brandenburg (Anwerbung polnischer Jugendlicher) müssen als gescheitert betrachtet werden. Die überwiegende Zahl der Jugendlichen hat die Ausbildung entweder nicht angetreten oder abgebrochen. So erreichten in Brandenburg lediglich fünf von 22 polnischen Jugendlichen das zweite Ausbildungsjahr. Im Emsland wurden nur sechs von 14 spanischen Bewerberinnen und Bewerbern in Ausbildung vermittelt. Ursprünglich sollten 35 spanische Jugendliche für eine Ausbildung gewonnen werden“[iv].

Was weiss man über die Erfahrungen anderer Länder mit solchen Projekten? Welches sind die Gründe für das Scheitern oder das Gelingen?

Drittens: Das schweizerische Potential ausnützen

Neben dem Blick ins Ausland lohnt sich auch ein Blick auf das inländische Potential an möglichen Personen zur Verminderung des Fachkräftemangels:

1. Erwachsene ohne berufliche Grundbildung

In der Schweiz gibt es rund 600‘000 Personen ohne berufliche Grundbildung. Davon haben mindestens 50‘000 Personen ein Potential, eine berufliche Grundbildung über eine Nachholbildung abzuschliessen. Das Projekt des SBFI „Berufsabschluss und Berufswechsel für Erwachsene“ geht den Möglichkeiten von Nachholbildungen von Erwachsenen nach und leistet so einen Beitrag

  • zur Bekämpfung des Fachkräftemangels,
  • zur Entlastung der Sozialversicherungen und
  • zur persönlichen Besserstellung von Personen ohne berufliche Grundbildung.

2. WiedereinsteigerInnen

Eine Untersuchung von Travail.Suisse zeigt, dass pro Jahr etwa 13‘000 Personen nach einem familienbedingten Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt wieder eine Arbeit suchen. Je länger sie vom Arbeitsmarkt fern blieben, umso schwieriger haben es diese Personen, wieder eine ihren potentiellen Fähigkeiten entsprechende Arbeitsstelle zu finden. Die Unterstützungen durch die öffentliche Hand und die Sozialversicherungen fehlen weitgehend oder sind ungenügend und nehmen auf die Bedürfnisse der Zielgruppe kaum Rücksicht.

3. Ältere Arbeitnehmende

Die demografische Entwicklung bringt es mit sich, dass die älteren Arbeitnehmenden für die Wirtschaft bedeutender werden. Ihre Förderung und Weiterbildung blieb bisher aber ausserhalb politischer Überlegungen. Sollen sie aber ihre Rolle in Zukunft besser wahrnehmen können, sind Überlegungen zu einer besseren Ausnutzung ihres Potentials zu machen und die Erkenntnisse in Projekte umzusetzen.

4. In der Schweiz lebende AusländerInnen

Viele AusländerInnen in der Schweiz verfügen zwar über Ausbildungen. Ihre Diplome werden aber nicht anerkannt, so dass sie sich unter ihrem Wert im Arbeitsmarkt „verkaufen“ müssen.

Sind nicht eher die Potentiale der Schweiz besser auszunutzen als ausländische Jugendliche für Lehrstellen in der Schweiz anzuwerben?

Viertens: Ausländische Jugendliche sind eine „schwierige“ Zielgruppe

Einer der Gründe, warum in Grenzregionen die Lehrlingsausbildung von ausländischen Jugendlichen kaum Probleme bereitet, ist, dass diese Jugendlichen ihr soziales Netz nicht verlassen müssen. Sie können ihr Zuhause behalten. Das ist mit dem bundesrätlichen Projekt nicht möglich. Die Jugendlichen werden in einer wichtigen Entwicklungsphase ihres Lebens aus ihrem angestammten Umfeld herausgelöst und werden während der Adoleszenz drei bis vier Jahre ihrem familiären und kulturellen Umfeld entfremdet. Soll ein solches Konzept funktionieren, müssen viele Rahmenbedingungen erfüllt sein[vi].

Welche Rahmenbedingungen müssen in der Schweiz erfüllt sein, dass ein solches Projekt für die ausländischen Jugendliche zu einem Erfolg werden kann?

Fünftens: Berufsbildung exportieren statt Lehrlinge importieren[vii]

Statt Lehrlinge zu importieren könnte man ja auch die Berufsbildung exportieren und damit mithelfen, die Jugendarbeitslosigkeit in den betreffenden Ländern zu minimieren. So überzeugend in einem ersten Moment diese Idee erscheint, so schwierig ist ihre Umsetzung. Ein Statusbericht über die duale Ausbildung als Exportschlager zeigt, dass die Staaten, die mit der dualen Berufsbildung beglückt werden sollen, sich „schwer tun, ihre Bildungs- und Berufsbildungssysteme … zu reformieren“[viii].Widerstände sind von den Regierungen, der Administration und den Arbeitgebern trotz vorgängigen Abmachungen spürbar. Der in Deutschland (und in der Schweiz) zum Teil hochgelobten dualen Berufsbildung begegnet bei der Umsetzung viel Skepsis. Dies ist insoweit verständlich, als einerseits die Implementierung eines fremden Systems als Eingriff in die eigene Autonomie/Souveränität erlebt wird und anderseits das duale Berufsbildungssystem komplex und deshalb nur schwer verständlich und vermittelbar ist.

Wie kann die Schweiz ihr Berufsbildungssystem „verkaufen“ ohne imperialistisch zu wirken?

Sechstens: Diskussions- und Handlungsvorschläge

Die obigen Überlegungen führen uns zu folgenden Diskussions- und Handlungsvorschlägen:

  1. Es muss Klarheit herrschen über die Ziele des Projektes. Geht es die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit der Jugendlichen in den EU-Staaten oder um die Bekämpfung des Fachkräftemangels bei uns? Solange das nicht klar ist, redet man aneinander vorbei und macht Fehler bei der Entwicklung eines Projektes.
  2. Wenn es um den Fachkräftemangel bei uns geht, stehen für Travail.Suisse andere Potentiale als die Jugendliche aus der EU im Vordergrund, die ausgeschöpft werden sollen. Dabei ist zu fragen, wie das vorhandene Lehrstellenpotential in Bezug auf die anderen Potentiale eingesetzt werden kann.
  3. Wenn es um die Bekämpfung der Jugenderwerbslosigkeit in der EU geht, so geht es primär nicht darum, unser Berufsbildungssystem zu exportieren, sondern PolitikerInnen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, Jugendliche und Eltern anderer Länder auf Berufsbildung „glustig“ zu machen. Wenn dann Anfragen kommen, sollten die Verbundpartner die Ressourcen haben, darauf angemessen zu antworten. Konkret bedeutet dies, dass über Art.54/55 BBG Gelder für Projekte für Veranstaltungen mit ausländischen Partnern zur Auseinandersetzung über das duale Berufsbildungssystem vorhanden und zugänglich sein sollten.
  4. Statt Lehren für ausländische Jugendliche sollten wir in der Schweiz eher Praktika anbieten, z.B. für BerufsbildnerInnen, HR-Verantwortliche, BranchenvertreterInnen etc.
  5. Hinter allem Handeln muss die Überzeugung stehen, dass die professionelle Vermittlung von praktischen – nicht nur von theoretischen – Kompetenzen eine Volkswirtschaft stärkt. Die konkrete Ausgestaltung des professionellen Berufsbildungssystems ist dagegen nicht unwichtig, aber zweitrangig.

07.10.2013 Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travail.Suisse


[i] https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Bundesrat-will-Junge-fuer-Lehre-in-die-Schweiz-holen-31524276

[ii] Die Jugenderwerbslosigkeit in der EU wird gegenwärtig mit 23,7% angegeben. Das bedeutet jedoch nicht, dass „fast jeder vierte Jugendliche arbeitslos wäre: Die Arbeitslosenquote misst die Zahl der Arbeitslosen in Prozent der Erwerbspersonen, doch zählen in diesem Alter viele Menschen zum Beispiel als Studenten noch gar nicht zu den Erwerbspersonen“. NZZ, Mittwoch, 2. Oktober 2013, S. 27.

[vi] Der in der Fussnote 1 erwähnte Bericht des DGB erwähnt 10 Kriterien für gute Rahmenbedingungen.

[vii] Diese Forderung stellt Rudolf Strahm in einer Kolumne vom 27.08.2013 im Tagesanzeiger auf.

[viii] Hermann Nehls, Thomas Giessler, Matthias Anbuhl, Duale Ausbildung als „Exportschlager“?, Statusbericht  zu Anspruch und Wirklichkeit der europäischen Zusammenarbeit in der beruflichen Grundbildung und der Aktivitäten der Bundesregierung, Berlin, 09. September 2013, S. 6.

 

 

Mobilität und Fremdsprachen in der Berufsbildung fördern

An der Lehrstellenkonferenz vom 23. November 2012 wird ein Bericht zur Mobilitäts- und Fremdsprachenförderung in der Berufsbildung diskutiert und hoffentlich auch verabschiedet. Travail.Suisse hofft, dass dieser Bericht zu einem Katalysator für verschiedenste Initiativen in diesem Bereich wird.

An den Gymnasien ist es selbstverständlich, dass die Studierenden neben der Muttersprache mindestens zwei Fremdsprachen lernen. Zudem haben die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten die Möglichkeit, durch ein internationales Austauschjahr eine Fremdsprache vertieft kennenzulernen. Auf der Seite der Berufsbildung sieht das anders aus. Etwa 50 Prozent der Jugendlichen in Berufslehren ohne Berufsmaturität erhalten keine obligatorische fremdsprachliche Förderung. Im gewerblich-industriellen Bereich sind es sogar fast 80 Prozent! Zudem verfügen Austausch- und Mobilitätsprogramme in der Berufsbildung über wenig Tradition.

Bedarf auf dem Arbeitsmarkt nimmt zu

Dadurch, dass die Mobilität und das Fremdsprachenlernen in der Berufsbildung nur eine untergeordnete Rolle spielen, verpasst die Schweiz vielerlei Chancen, ihre Berufslernenden gut auf den europäischen Arbeitsmarkt und die Weiterbildung vorzubereiten: Denn dort wird heute immer öfter erwartet, dass sie sich in mehreren Sprachen verständigen und in multikulturellen Kontexten bewegen können.

Kreative Lösungen statt mehr Lektionen

Die Forderung nach mehr Fremdsprachenlernen und Mobilität in der Berufsbildung darf allerdings nicht durch die Erhöhung der Lektionszahlen an den Berufsfachschulen erfüllt werden. Andere Wege sind zu gehen. Für Travail.Suisse sind vor allem Initiativen zu stärken oder aufzubauen.

Bilingualer Unterricht stärken: Eine Möglichkeit besteht darin, dass schulische Fächer in einer Fremdsprache unterrichtet werden. Man lernt dann zwei Dinge auf einen Streich: den Fachinhalt und eine Fremdsprache. Es können dabei zwei Modelle zum Einsatz kommen. Bei einem Modell des zweisprachigen Unterrichts wird Deutsch und zu circa 30 Prozent eine Fremdsprache gesprochen, gelesen und geschrieben. Die Lehrperson führt zum Beispiel ein neues Thema zuerst auf Deutsch ein und  vertieft das Thema dann mit fremdsprachlichen Aktivitäten. Beim zweiten Modell – Immersion genannt – werden ganze Fächer über eine längere Zeitspanne hinweg in einer Fremdsprache unterrichtet. Die heutigen Erfahrungen mit dem bilingualen Unterricht sind so auszuwerten und aufzubereiten, dass immer mehr Berufsfachschulen die Möglichkeit sehen, diese Art Unterricht anzubieten.

Projektgelder zur Verfügung stellen: Bedeutsam für die Entwicklung der Mobilität und der Förderung der Fremdsprachen ist natürlich die ch-Stiftung, die Gelder für Mobilitätsprogramme zur Verfügung hat. Ihr muss es noch besser gelingen, ihre Dienstleistungen den Bedürfnissen der Berufsbildung anzupassen und ihre Angebote so zu präsentieren, dass für die Betriebe und Schulen, die Mobilitätsprojekte durchführen wollen, Aufwand und Ertrag in einem günstigen Verhältnis stehen. Ebenso muss die Projektförderung des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie gemäss Art. 54/55 BBG Geld bereitstellen für die Anschubfinanzierung von innovativen Projekte in diesem Bereich.

Mobilitätsbeauftragte für Mobilität schaffen: Damit der Gedanke der Mobilität- und Fremdsprachenförderung  in der Berufsbildung besser Fuss fassen kann, sind beim Bund,  den Kantonen und auch bei den Organisationen der Arbeitswelt „Mobilitätsbeauftragte“ zu benennen. Sie haben darauf zu achten, dass das Thema in ihrem Umfeld nicht aus den Traktanden fällt, sondern die möglichen Schritte zur Mobilitäts- und Fremdsprachenförderung angegangen werden. Der Bund hat diesbezüglich eine besondere Verantwortung. Er muss dafür besorgt sein, dass die „Mobilitätsbeauftragten“ der Verbundpartner in ein starkes Netz eingebunden sind.

Ein Monitoring einrichten: Über die Entwicklung im Bereich der Mobilitäts- und Fremdsprachenförderung in der Berufsbildung ist ein Monitoring einzurichten. Es soll eine regelmässige statistische und wissenschaftliche Auswertung über die Entwicklungen in diesem Bereich ermöglichen. Im Bildungsbericht Schweiz 2014 soll erstmals eine Bestandesaufnahme veröffentlicht werden.

Ein Pilotkurs bei Travail.Suisse

Travail.Suisse wird im nächsten Jahr einen Pilotkurs über ihre Jugendkommission anbieten, in dem bei der Bearbeitung des Themas „An der Schwelle zur Berufswelt: Das muss ich wissen“  zugleich Fremdsprachenkompetenzen erworben werden können. Der Kurs wird dreisprachig geführt. Dabei werden alle Unterlagen in Italienisch, Französisch und Deutsch abgegeben. In die einzelnen Sequenzen wird  jedoch nur in einer Landessprache eingeführt. Da bei diesem Kurs Jugendliche (und Ausbildnerinnen und Ausbildner) aus allen Sprachregionen präsent sein werden, werden sie sich gegenseitig helfen können, die Inhalte zu verstehen.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik, Travail.Suisse (19.11.12)

Besoins de l’économie et état des lieux de la politique suisse

Vortrag gehalten am 15.11.2012 an der Tagung „Européanisation de la formation professionnelle“ von EHB und SGAB in Morges.

Sehr geehrte Damen und Herren

Zuerst möchte ich mich für die Einladung zu Ihrem interessanten und wichtigen Anlass ganz herzlichen bedanken.

Als ich an meinem Referat zu schreiben begann, habe ich mich allerdings gefragt:
Was kann ich zu Ihrem Anlass schon beitragen?
Ich bin kein Spezialist in den heute besprochenen Fragen.
Zudem muss ich Ihnen mein Französisch zumuten.
Ich hoffe, es gibt nicht zu viele Missverständnisse, weil ich die Worte falsch betone oder ausspreche.

Das Thema meines Vortrages lautet:
Besoins de l’économie et état des lieux de la politique suisse.

Der Titel nimmt Bezug auf die zwei Kontexte, in denen ich mich beruflich bewege.

Einerseits die Politik.
Seit rund 16 Jahren habe ich die Möglichkeit, bei politischen Fragen im Bereich der Berufsbildung in einem inneren Kern mitzudiskutieren.
So bin ich Mitglied der Eidgenössischen Berufsbildungskommission und war auch in der Expertenkommission für die Entwicklung des neuen Berufsbildungsgesetzes tätig.

Andererseits die Wirtschaft.
Als Geschäftsleitungsmitglied von Travail.Suisse interessieren mich Bildungs- und Arbeitsmarktfragen, und zwar aus der Sicht der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.

Aus beiden Perspektiven versuche ich nun dem Thema Ihrer Tagung „Européanisation de la Formation professionnelle“ näherzukommen und meine Erfahrungen und Vorstellungen einzubringen.

Dazu werde ich zuerst fünf Thesen ausformulieren und dann drei Folgerungen daraus ziehen.
Die einzelnen Thesen und Folgerungen finden Sie jeweils auf der Powerpointpräsentation.

These 1:
Interne Probleme der Berufsbildung Schweiz haben in den letzten Jahren die Sicht auf Europa verstellt.

In den letzten 16 Jahren hat sich die Berufsbildungspolitik vor allem mit einem Thema auseinandergesetzt: der Lehrstellenkrise.
Viele Aktivitäten auf Bundes- wie auch auf kantonaler Ebene galten dem einen Ziel, nämlich mehr Lehrstellen zu schaffen und den Jugendlichen mit Problemen auf dem Lehrstellenmarkt den Zugang zu einer Lehrstelle zu ermöglichen.

Diese Blickrichtung prägt auch das neue Berufsbildungsgesetz, das 2004 in Kraft getreten ist.
So wird etwa in Artikel 13 des Berufsbildungsgesetzes dem „Ungleichgewicht auf dem Markt der beruflichen Grundbildung“ (=Lehrstellenkrise) der Kampf angesagt.
Oder in Artikel 12 des Berufsbildungsgesetzes die Kantone verpflichtet, „Personen mit individuellen Bildungsdefiziten am Ende der obligatorischen Schulzeit auf die berufliche Grundbildung“ vorzubereiten.
Auch die Projektgelder nach Artikel 54 und 55 des Berufsbildungsgesetzes sind zu einem recht grossen Teil zur Bekämpfung der Lehrstellenkrise eingesetzt worden.

Das Thema „Europa“ kommt hingegen im Berufsbildungsgesetz nur indirekt vor, weit hinten im Artikel 68.
Dort geht es einerseits um die Anerkennung ausländischer Diplome und Ausweise in der Schweiz. Also nicht um die Anerkennung schweizerischer Diplome im Ausland, was uns heute sehr beschäftigt.
Andererseits geht es um den Bundesrat.
Ihm wird im Artikel 68 das Recht zugesprochen, „zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit und Mobilität in eigener Zuständigkeit internationale Vereinbarungen“ abzuschliessen.
Dies ist eine wichtige Bestimmung, gerade auch im Zusammenhang mit dem Thema „Anerkennung der schweizerischen Diplome im Ausland“.
Allerdings, indem der Bundesrat mit dieser Aufgabe betraut wird, sind die anderen Partner der Berufsbildung von diesem Thema wie befreit.

Das entspricht ganz der Stimmung bei der Ausarbeitung des neuen Berufsbildungsgesetzes.

Soviel ich mich erinnern kann, hat keiner der Experten das Thema „Europäisierung der Berufsbildung“ aufgeworfen, und diesbezüglich einen Diskussionsbedarf angemeldet.
Auch ich nicht.
Mir war das Thema damals absolut fremd.

So wurde das Hauptthema des Berufsbildungsgesetzes durch eine schweizerische Innensicht bestimmt.
Und dieses Thema hiess damals Lehrstellenkrise.
 
These 2:
Durch die Einführung der Personenfreizügigkeit bildet die Schweiz Personen für den europäischen Arbeitsmarkt aus. Der europäische Arbeitsmarkt findet auch in der Schweiz statt.

Im Jahre 2000 hat das schweizerische Stimmvolk die Personenfreizügigkeit mit der europäischen Union angenommen.
Und im gleichen Jahr wurde sie auch eingeführt.
Zwar war die Personenfreizügigkeit am Anfang noch mit bestimmten Einschränkungen versehen, wie zum Beispiel „Kontingente“.
Aber seit 2005 sind auch diese Einschränkungen nicht mehr in Kraft.
Das heisst, wenn die Schweiz heute junge Menschen ausbildet, so bildet sie diese Personen für den europäischen Arbeitsmarkt aus.
Zum europäischen Arbeitsmarkt gehört dabei auch die Schweiz.
Wenn Arbeitnehmende, die in der Schweiz ausgebildet wurden, sich für eine Stelle in der Schweiz oder der EU bewerben, so stehen sie aufgrund der Personenfreizügigkeit auch in Konkurrenz zu Personen, die in anderen Ländern ausgebildet wurden.
Um in dieser Konkurrenzsituation bei einer Bewerbung erfolgreich zu sein, muss die Ausbildung vom Arbeitgeber als „wertvoll“ erkannt und anerkannt werden.

These 3:
Eine Ausbildung wird vom Arbeitgeber als „wertvoll“ erkannt und anerkannt, wenn
•          die Qualität der Ausbildung stimmt
•          der Titel verständlich ist
•          das Ansehen hoch ist.

Bei einer Bewerbung wird einerseits eine Person bewertet, andererseits ihre Ausbildung.
Beide Faktoren zusammen machen den Erfolg bei einer Bewerbung aus.
Was ist nun, wenn ich mich zum Beispiel mit einem Diplom einer höheren Fachschule im europäischen Arbeitsmarkt bewerbe?
Wie stehen meine Chancen bei der Bewerbung?
Gemäss der These 3 habe ich nur dann eine Chance, wenn die Ausbildung vom Arbeitgeber als „wertvoll“ erkannt und anerkannt wird.
Dazu gehören eine gute Qualität, ein verständlicher Titel und ein hohes Ansehen.

Erstes Stichwort „Qualität“
„Qualität“ gehört zu den Lieblingsworten der Bildungsgesetzgebung.
Schon in die Bundesverfassung ist es das erste Wort mit Gewicht, das im Abschnitt „Bildungsraum Schweiz“ erwähnt wird.

Im Artikel 61a heisst es:
Bund und Kantone sorgen gemeinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz.
 
Das erste Ziel ist also Qualität.
Das gilt natürlich auch für die höheren Fachschulen.

  • Sie müssen eine Akkreditierung durchlaufen
  • Sie müssen ihre Lehrkräfte auf einem hohen Niveau fachlich, methodisch und didaktisch ausbilden.
  • Und sie müssen ihren Lehrplan mit der Wirtschaft, den Organisationen der Arbeitswelt absprechen.

Wer das Diplom einer höheren Fachschule vorweisen kann, muss sich daher – was die Qualität und auch die Aktualität seiner Ausbildung betrifft – bei einer Bewerbung überhaupt nicht verstecken.

Aber genügt die Qualität und Aktualität?

Zweites Stichwort „Titel“
Es gibt Arbeitgeber, die den Titel „Diplom HF“ ohne weiteres verstehen.
Sie wissen, was sich dahinter verbirgt:

  • HF-Abgänger haben Führungskompetenzen,
  • haben eine hohe Fachkompetenz,
  • sind Experten der Umsetzung,
  • bringen viel praktische Erfahrung mit und
  • verfügen über eine Ausbildung im Tertiärbereich.

Wer das nicht weiss, kann das aber aus dem Titel „Diplom HF“ nicht ohne weiteres herauslesen.
Der Titel ist diesbezüglich nicht sehr aussagekräftig.
Es ist daher verständlich, dass es Kreise gibt, die einen aussagekräftigeren Titel fordern.

Drittes Stichwort „Ansehen“
Eine Ausbildung ist auch mit einem Image verbunden.
Damit kommen wir zu einem Kernpunkt der Thematik.
Wir wissen, dass der akademische Weg über ein höheres Image als der Weg der Berufsbildung verfügt.
Sogar in der Schweiz ist es so, also in einem Land, in dem die Berufsbildung ansonsten einen hohen Stellenwert hat.
Wie ist das dann erst in Ländern, in denen die Berufsbildung weniger Bedeutung hat als in der Schweiz?
Auch dort haben Titel der Berufsbildung eine geringere Leuchtkraft als akademische Titel.

Die Diskussion um den NQR und um das diploma supplement haben hier ihren Ansatzpunkt:
Insbesondere Abschlüsse der höheren Berufsbildung sollen mit Hilfe von NQR und diploma supplement mit akademischen Abschlüssen vergleichbar und verstehbar werden.

Das ist wichtig. Genügt aber nicht.

Denn die Berufsbildung leidet mindestens an drei Problemen, die ihr einen schweren Stand im internationalen Kontext verschaffen.

These 4:
Die Berufsbildung leidet darunter, dass sie
•          nicht (von allen) verstanden wird,
•          nicht an der Macht ist und
•          falsch eingeschätzt und unklug vermarktet wird.

Die Berufsbildung wird nicht (von allen) verstanden:
Immer wieder mache ich die Erfahrung, dass die Berufsbildung im Allgemeinen und die Berufsbildung Schweiz im Besonderen nicht verstanden wird.
Ich verstehe das nicht als Vorwurf,
sondern als Sachverhalt, den man nicht aus dem Auge verlieren darf.

Warum wird die Berufsbildung nicht (von allen) verstanden?

  1. Weil die Berufsbildung komplex ist. Es gibt verschiedenste Ausbildungen und verschiedenste Niveaus.
  2. Weil Personen, die auf dem akademischen Weg ihre Bildung erhalten haben, zu wenig Erfahrung mit Berufsbildung haben. Für sie ist die Berufsbildungswelt zum Teil wirklich fremd.
  3. Weil die Berufsbildung in den europäischen Ländern sich zum Teil stark voneinander unterscheidet und nicht einfach vergleichbar ist. Darum versucht die EU auch über das EQF eine Vergleichbarkeit herzustellen.
  4. Weil die Berufsbildung sich in Veränderungsprozessen befindet und die eigenen früheren Erfahrungen so nicht mehr stimmen. Die Eltern sind daher oft schlechte Berater in Sachen Berufsbildung, weil sie noch in ihren alten Vorstellungen über die Berufsbildung leben.

Wenn also jemand sich mit einem Berufsbildungsabschluss wie dem Diplom HF auf den europäischen Arbeitsmarkt bewirbt, so hat er damit zu kämpfen, dass nicht alle die Berufsbildung verstehen und ihren Wert einschätzen können.

Das schlimmste, was mir diesbezüglich passiert ist, ereignete sich mit einem Experten der OECD, der die höhere Berufsbildung in der Schweiz untersuchte.
Nach zwei Stunden Auskunft über die höhere Berufsbildung kam er zu folgendem Schluss:
In der höheren Berufsbildung können Erwachsene, welche noch über keine Ausbildung verfügen, ihre Berufsausbildung nachholen.

Kein Vorwurf an diesen Experten!
Er hat nur versucht, unsere Informationen über die höhere Berufsbildung in seinen Erfahrungshorizont einzubauen und ist dabei gescheitert.
Zum Glück blieb er noch eine Woche in der Schweiz und konnte sein Bild korrigieren.

Aber nicht alle haben oder nehmen sich so viel Zeit, um ihre Meinungen zu korrigieren.
Sie bleiben daher oft in ihren rudimentären und falschern Bildern über die Berufsbildung gefangen.

Die Berufsbildung ist nicht an der Macht:
An vielen Orten (Politik, Wirtschaft), wo über die „Berufsbildung“ entscheiden wird, kann man nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass auch Experten der Berufsbildung mit am Tisch sitzen.
Es ist eher so, dass Personen mit universitären Abschlüssen dort das Sagen haben.
Das ist natürlich ein Nachteil.

Dieser kann erstens nur ausgeglichen werden, wenn die Entscheidungsgremien in Politik und Wirtschaft in Sachen Berufsbildung bereit sind dazuzulernen.
Und zweitens: wenn die Berufsbildung sich in Politik und Wirtschaft für ihre Anliegen wehrt,
beispielweise in der Schweiz.

Gegenwärtig wird das neue Staatssekretariat für Bildung. Forschung und Innovation aufgebaut.
Die Berufsbildung muss sich wehren, damit die Berufsbildung ihrem Wert entsprechend behandelt wird.
Nächsten Mittwoch sind die Spitzenverbände der Berufsbildung bei Bundesrat Schneider-Ammann eingeladen, um eine bessere Positionierung der Berufsbildung im neuen Staatssekretariat durchzusetzen.

Aber auch auf europäischer Ebene ist zu intervenieren. Auf europäischer Ebene wird die Berufsbildung meiner Meinung nach in ein falsches Fahrwasser geleitet.

Damit kommen wir zum dritten Punkt der vierten These:
Die Berufsbildung wird falsch eingeschätzt und unklug vermarktet:

Seit knapp einem Jahr bin ich Mitglied des „Advisory committee on vocational training“, eine Art Berufsbildungskommission der EU.
Ich bin erst daran, mich in diesem Gremium zurechtzufinden.
Trotzdem ist mir schon etwas aufgefallen.
In den Reden und Interventionen dort wird der Einsatz für die Berufsbildung vor allem damit begründet, dass sie hilft, die Jugenderwerbslosigkeit zu bekämpfen.
Das ist ein wichtiges Anliegen und angesichts der Grösse des Problems auch verständlich.
Ohne Zweifel.

Eine solche Argumentation macht aber die Berufsbildung zu einem primär sozialpolitischen Mittel.
Es hilft, Personen von der Strasse wegzuholen und in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Finanzierung der Berufsbildung ist damit sozialpolitisch begründet.

Genügt das aber?
Wird damit der Kern der Berufsbildung getroffen?

Ich denke: Nein!
Die Berufsbildung ist zuerst und vor allem ein wichtiger Teil der Wirtschaftspolitik.
Dank einer starken Berufsbildung steigen die Qualität und die Innovationskraft einer Volkswirtschaft. Produktivität
In sie zu investieren, ist eine wirtschaftpolitische Notwendigkeit.
Leute der Berufsbildung sind nicht Sozialfälle.
Im Gegenteil: Sie sind wichtige Träger einer gesunden Volkswirtschaft.
Wo sie fehlen, leidet die Volkswirtschaft.

Weil in Europa die „Berufsbildung“ oft in sozialen Kategorien gedacht wird,
wird sie insgeheim abgewertet und falsch eingeschätzt.
Auf diesem Hintergrund ist es verständlich, dass junge Leute, wenn immer möglich, nicht den Berufsbildungsweg, sondern den akademischen Weg wählen.
Sie wollen kein Sozialfall sein.
Bei der Europäisierung der Berufsbildung ist hier noch viel Arbeit zu leisten.

Ein wirtschaftlich starkes Europa dank einer starken Berufsbildung!
So muss der zukünftige Slogan heissen.

These 5:
Eine starke europäische Berufsbildung hängt von einer guten und engen Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen. In der Schweiz nennen wir das Verbundpartnerschaft.

Am 07. Dezember 2010 hat die EU das Kommuniqué von Brügge verabschiedet, welche zu einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung führen soll.

Es lohnt sich, dieses Papier einmal zu lesen!
Es enthält viele interessante Ansätze und Überlegungen.
So findet man auch den Hinweis darauf, dass verstärkt Partnerschaften zwischen den verschiedensten Akteuren gefördert werden soll.

« Les pays participants devraient encourager les partenariats entre partenaires sociaux, entreprises, centres d’enseignement et de formation, services de l’emploi, autorités publiques, organismes de recherche et autres parties concernées, afin d’assurer un meilleur transfert d’informations sur les besoins du marché du travail et une meilleure adéquation entre ces besoins et l’acquisition de connaissances, d’aptitudes et de compétences. Les employeurs et les partenaires sociaux devraient s’efforcer de clairement définir les compétences et les qualifications dont ils ont besoin à court et à long terme, au niveau sectoriel et intersectoriel ». (Le communiqué de Bruges sur la coopération européenne renforcée en matière d’enseignement et de formation professionnels, p. 10, 2010).

Ziel ihrer Partnerschaft ist es vor allem, den Bedarf des Arbeitsmarktes sowohl in Bezug auf die Anzahl sowie auch in Bezug auf die Kompetenzen und Qualifikationen besser eruieren zu können.

Es ist das, was wir in der Schweiz gerade durch die Verbundpartnerschaft zu lösen versuchen.
Gerade in diesem Bereich sind wir den meisten europäischen Ländern weit voraus.
Hier müssen wir unsere Erfahrungen mit der Verbundpartnerschaft einbringen.
Ich werde noch unter den Folgerungen darauf zu sprechen kommen.

Zusammenfassung und erste Folgerung:

Die Schweiz bildet ihre jungen Leute für den europäischen Arbeitsmarkt aus.
Die grosse Mehrzahl erhält dabei ihre Ausbildung in der Berufsbildung.
Der Berufsbildungsweg hat dabei im europäischen Kontext nicht das gleich hohe Image wie der akademische Weg.
Die Schweiz ist daher herausgefordert, dem Berufsbildungsweg eine gleichwertige Anerkennung wie dem akademischen Weg zu verschaffen, und zwar sowohl in der Schweiz wie auch im europäischen Arbeits- und Bildungsmarkt.

Dazu muss sie eine Strategie entwickeln und umsetzen.
Eine solche existiert seit Juni 2010.
Damals wurde das Papier „Internationale Strategie der Schweiz im Bereich Bildung, Forschung und Innovation“ vom Bundesrat verabschiedet.
Es wäre Zeit, dieses Papier mit den Verbundpartnern wieder einmal zu diskutieren und allenfalls anzupassen.

Vielleicht könnte die heutige Tagung der Anlass dazu sein, dieses Strategiepapier 2010 wieder einmal hervorzuholen und mit den Erkenntnissen der heutigen Tagung zu konfrontieren.

Zweite Folgerung:

Die EU ist daran, für die Berufsbildung Instrumente zu schaffen wie etwa der europäische Qualifikationsrahmen EQR.
Die Schweiz hat solche Instrumente optimal einzusetzen.
Sie müssen dazu verhelfen, dass schweizerische Berufsbildungsabschlüsse von den Arbeitgebern im europäischen Arbeitsmarkt als „wertvoll“ erkannt und anerkannt werden.

Dazu braucht die höhere Berufsbildung

  • eine klarere Positionierung im Tertiärbereich, beginnend im Organigramm des neuen Staatssekretariates für Bildung, Forschung und Innovation
  • eine „mutige“ Einbettung in den europäischen Qualifikationsrahmen
  • ein europa-kompatibles Diploma supplement und
  • einen verstehbaren und für sich selbst sprechenden Titel.

Dritte Folgerung:

Die Schweiz tut gut daran, der Qualität der Berufsbildung wirklich Sorge zu tragen.
Die Stärken des Systems wie Wirtschaftsnähe, Lernen an drei Lernorten, Verbundpartnerschaft und Innovationsfähigkeit sind zu pflegen.

Aber die Qualität allein genügt nicht.

Die Berufsbildung muss auch verkauft werden, insbesondere auch die höhere Berufsbildung.
Es ist zu überlegen, ob nicht im Berufsbildungsgesetz im allgemeinen Teil Artikel 1 bis 12 eine neue Bestimmung aufgenommen werden muss.
Diese Bestimmung soll die Verbundpartner darin bestärken und unterstützen, das schweizerische Berufsbildungssystem im internationalen Kontext besser bekanntzumachen.
Dazu sollten auch Gelder nach Artikel 54 und 55 zur Verfügung stehen.

Zudem sollte die Berufsbildung die jungen Leute für den europäischen Arbeitsmarkt noch fitter machen, zum Beispiel den Zugang zu den Fremdsprachen vereinfachen.
Nächste Woche verabschiedet übrigens die Lehrstellenkonferenz unter Leitung von Bundesrat Schneider-Ammann einen Bericht zur Mobilität und zu den Fremdsprachen.
Dieser zeigt interessante Massnahmen auf, wie der Zugang zu den Fremdsprachen in der Berufsbildung vereinfacht werden kann.
Ich hoffe, die Berufsbildung ist offen, die Massnahmen aufzunehmen und umzusetzen.

Schliesslich meine ich, dass der europäische Arbeitsmarkt von den Abgänger und Abgängerinnen der Berufsbildung mehr Allgemeinbildung verlangt. Vielleicht wäre es möglich, jedem Lehrabgänger und jeder Lehrabgängerin nach der Lehre einen Bildungsgutschein auszuhändigen, der ihm erlaubt, seine Allgemeinbildung in den nächsten Jahren zu erweitern.

Schlussbemerkung

Sie haben von mir eine Stellungnahme zur Europäisierung der Berufsbildung verlangt.
Ich habe Ihnen gesagt, dass ich diesbezüglich kein Fachmann bin.
Ich bin wie viele in der Schweiz am Beginn eines Lernprozesses.

Meine Überlegungen aus der Sicht eines Wirtschaftsvertreters der Arbeitnehmerseite haben mich zu folgenden Ergebnissen geführt:

Die Berufsbildung wird im europäischen Kontext zu stark von sozialpolitischen Überlegungen geprägt.
Eine starke Berufsbildung ist notwendig für die Wirtschaft.
Sie steigert die Qualität und die Innovationskraft einer Volkswirtschaft. Produktivität
Dadurch löst sie aber indirekt auch soziale Probleme, weil eine funktionierende Wirtschaft Arbeitsplätze schafft.

Die Berufsbildung leidet aber unter ihrem Image.
Gerade die Entscheidungsträger in der Wirtschaft sind sich der hohen Bedeutung der Berufsbildung nicht bewusst.
Sie sind sich noch zu wenig bewusst, dass sie eine starke Berufsbildung brauchen.
Hier ist im europäischen Kontext noch viel Arbeit zu leisten.

Was die Politik in der Schweiz betrifft, so gibt es erste Ansätze für eine offensivere Gangart in der Berufsbildungspolitik.

Nötig ist:
Wir brauchen eine starke Positionierung der Berufsbildung im neuen Staatssekretariat.
Zudem müssen wir die Berufsbildung im europäischen Kontext besser verkaufen.
Dazu sind die Verbundpartner zu gewinnen, zum Beispiel durch eine neue Regelung im Berufsbildungsgesetz.

Mit ihrer Tagung heute setzen Sie bei der Europäisierung der Berufsbildung ein Ausrufezeichen.
Dafür danke ich Ihnen und wünsche Ihnen viel Erfolg.

Merci!

Bruno Weber-Gobet (15.11.2012)

Internationale Positionierung vorwärtstreiben

Die allgemeinbildenden und die berufsbezogenen Bildungswege sollen in der Schweiz über eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung verfügen. Dies hält die Bundesverfassung in Artikel 61.a, Abs. 3 unmissverständlich fest. Diese Bestimmung bringt zum Ausdruck: Es gibt keinen besseren oder schlechteren Bildungsweg. Auf schweizerischer Ebene ist dieses Denken weit verbreitet, wenn auch noch nicht Allgemeingut. Auf internationaler Ebene leidet hingegen der Berufsbildungsweg immer noch unter mangelnder Anerkennung. Aus Sicht von Travail.Suisse sind daher die Bestrebungen, die Berufsbildung international besser zu positionieren, noch intensiver vorwärtszutreiben.

Die Schweiz gehört durch die Personenfreizügigkeit zum europäischen Arbeitsmarkt. Das heisst, die Schweiz bildet heute ihre jungen Menschen für den europäischen Arbeitsmarkt aus. Wenn diese ausgebildeten Personen sich für eine Stelle in der Schweiz oder der EU bewerben, so stehen sie aufgrund der Personenfreizügigkeit auch in Konkurrenz zu Personen, die in anderen Ländern ausgebildet wurden. Um in dieser Konkurrenzsituation bei einer Bewerbung erfolgreich zu sein, muss die Ausbildung vom Arbeitgeber als „wertvoll“ erkannt und anerkannt werden.

Berufsbildung: Niedere Ausbildung?

Wenn die Schweiz möchte, dass die berufsbezogenen Bildungswege auch auf europäischer Ebene eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung wie die allgemeinbildenden (akademischen) Wege erhalten, so muss sie sich auf dem internationalen Parkett dafür einsetzen. Das ist nicht einfach, aber nötig. Ansonsten wird es passieren, dass die Berufsbildung nach und nach ihren Wert verliert, weil sie als „niedere Ausbildung“ angeschaut wird[1].

Grundlage Qualität

Will die Schweiz für die Berufsbildung auf internationaler Ebene eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung erhalten, so muss sie im Minimum drei Punkte beachten. Erstens muss die Qualität der Berufsbildung stimmen. Eine hohe Qualität ist übrigens das erste Ziel des Bildungsraumes Schweiz[2], zu dem auch die Berufsbildung gehört. Ohne oder mit mangelnder Qualität können wir die Berufsbildung international nicht besser positionieren. In allen Tätigkeiten der Berufsbildung muss daher das Bewusstsein für Qualität vorhanden sein, wie das die Charta „Qualitätsentwicklung Berufsbildung Schweiz“ festhält[3].

Verständlichkeit

Die Berufsbildung der Schweiz muss zweitens verständlich sein. Es muss klar werden, dass ein wichtiger Grund für den wirtschaftlichen Erfolg  der Schweiz darin liegt, dass wir auf beide Bildungswege setzen und ihre Komplementarität zu Innovationen und hoher Produktivität führt. Zudem ist auch Klarheit über das Niveau unserer beruflichen Abschlüsse zu schaffen. Der nationale Qualifikationsrahmen ermöglicht über den europäischen Qualifikationsrahmen die notwendige Vergleichbarkeit der Abschlüsse in Europa. Die Chance, die der Qualifikationsrahmen ermöglicht, muss optimal und mutig ausgenutzt werden.

Verkauf

Die Berufsbildung muss drittens bewusst verkauft werden, insbesondere auch die höhere Berufsbildung. Das neue Staatsekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) hat hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Travail.Suisse wird die Arbeit des Staatssekretariates auch daran messen, ob es ihm gelingt, die Berufsbildung im europäischen und internationalen Kontext besser zu „verkaufen“,  das heisst besser zu positionieren und so Schritt für Schritt eine gleichwertige Anerkennung der berufsbezogenen mit den allgemeinbildenden Bildungswegen auch auf diesen Ebenen zu erreichen. Übrigens ist der Film des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie über die höhere Berufsbildung ein vortreffliches Hilfsmittel diesbezüglich[4], das jetzt voll eingesetzt werden müsste. Aus Sicht von Travail.Suisse wäre es klug, wenn das zukünftige Staatssekretariat die Verbundpartner in den Verkauf der Berufsbildung vermehrt einbeziehen würde. Eine Möglichkeit wäre, den Artikel 55.3 des Berufsbildungsgesetzes dafür einzusetzen[5] und vom Bundesrat zu erlangen, dass spezifische und innovative Projekte der Verbundpartner zum „Verkauf“ der Berufsbildung auf internationaler Bühne in Zukunft über den Artikel 54 finanziert werden können. Gegenwärtig fehlt ja dem Berufsbildungsgesetz die Dimension einer Verantwortung der Verbundpartner für die internationale Positionierung der Berufsbildung. Allenfalls müsste dieses Anliegen auf eine geschickte Art in eine Revision des Berufsbildungsgesetzes eingebracht werden.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travail.Suisse (05.11.12)


[1] Tagesanzeiger, Freitag, 5. Oktober 2012, S.13: „Nach Süddeutschland ins Gymi: Die Angst vor der Berufslehre…..Häufigster Grund für die Schulwahl jenseits der Grenze ist das Unbehagen der Deutschen gegenüber dem Schweizerischen Bildungssystem. Eine Berufslehre gilt in Deutschland als niedere Ausbildung mit schlechteren Verdienstaussichten. Ausserdem braucht es für die höheren Berufslehren ein Abitur. Viele Pendler glauben, dass ihre Kinder mit einem Schweizer Lehrabschluss schlechtere Berufsaussichten hätten als mit dem Abitur. Dabei ist in der Schweiz manchmal sogar das Gegenteil der Fall.“

[2] BV Art. 61.a1: Bund und Kantone sorgen gemeinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz.“

[5] BBG Art. 55.3:  Der Bundesrat kann weitere Leistungen im öffentlichen Interesse festlegen, für die Beiträge gewährt werden können.

Berufslehre/Berufsmatura oder Gymnasium?

Mit etwa 15 Jahren hat man sich als junger Mensch zu entscheiden, welchen Bildungsweg man gehen möchte. Sucht man sich eine Lehrstelle und macht allenfalls die Berufsmatura? Oder möchte man doch lieber das Gymnasium besuchen?

Situation vor 30 Jahren

Vor 30 Jahren hat diese Entscheidung weitreichendste Folgen gehabt. Hat man eine Spur gewählt, so war es überaus schwierig, noch einen Spurwechsel vorzunehmen. Der Wechsel zwischen gymnasialem Weg und dem Berufsbildungsweg und umgekehrt war nur mühsam zu bewerkstelligen. Viele erwachsene Personen leben noch in dieser alten Welt und vermitteln deshalb ihren Kindern Bilder, die so nicht mehr stimmen.

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Situation heute

In den 90er Jahren wurden die Berufsmaturität und die Fachhochschulen geschaffen. Damit hat sich die Bildungslandschaft stark verändert. Folgende Punkte sind besonders zu erwähnen:

        Heute kann man über den Berufsbildungsweg (Berufslehre und Berufsmaturität) an einer Fachhochschule einen Hochschulabschluss erreichen. Hochschulabschlüsse sind also nicht mehr nur über den gymnasialen Weg zu erlangen.

        Zudem kann man mit einer Berufsmaturität über eine so genannte Passerelle innerhalb eines Jahres den Zugang zu den universitären Hochschulen erreichen. Frühere musste man dafür die eidgenössische Maturität nachholen.

        Auch für die gymnasialen Maturandinnen und Maturanden besteht die Möglichkeit, die Spur zu wechseln. Mit einer einjährigen geregelten Arbeitswelterfahrung können sie sich den Zugang zu den Fachhochschulen erarbeiten.

        Schliesslich kann man heute auch ohne Berufsmatura einen Tertiärabschluss erreichen. Die höhere Berufsbildung (Berufsprüfung, höhere Fachprüfung, höhere Fachschule) ist durch das neue Berufsbildungsgesetz neu dem Tertiärbereich zugeordnet und hat damit eine Aufwertung erfahren. Die höhere Berufsbildung zählt heute zum Tertiär-B-Bereich, die Hochschulen zum Tertiär-A-Bereich. Übrigens können Bildungsleistungen im Tertiär-B-Bereich in Bildungsgängen an Fachhochschulen angerechnet werden.

Durchlässigkeit: Grundprinzip des heutigen Bildungssystems

Prägend für das heutige Bildungssystem ist die so genannte Durchlässigkeit. Spurwechsel – wie oben beschrieben – sollen möglich sein und sind auch möglich. Keine Ausbildung soll in eine Sackgasse führen. Die Entscheidungen, die mit 15 Jahren getroffen werden, haben daher nicht mehr so weitreichende Folgen wie früher. Sie können im Verlaufe des Lebens dank der Durchlässigkeit einfacher korrigiert werden wie einst.

Eigene Begabung statt falsche Karriereträume

Immer wieder hört man, wie vor allem Eltern in städtischen Regionen ihre Kinder ins Gymnasium drängen wollen und alles unternehmen, dass ihr Kind die Aufnahmeprüfung schafft. Sie haben für ihr Kind Karriereträume und tun so, als ob der gymnasiale Weg allein das Glück versprechen würde. Im heutigen Bildungssystem sollte vielmehr darauf geachtet werden, wofür ein Jugendlicher begabt und motiviert ist. Aus jeder Ausbildung kann heute – dank dem durchlässigen Bildungssystem – eine spannende Karriere entwickelt werden, wenn man – und das ist natürlich die Voraussetzung dafür – sich engagiert und an sich arbeitet.

Arbeitslosigkeit und Bildungsrendite

Interessant sind neuere Statistiken. Sie zeigen, dass Personen, welche ihre Karriere über die Berufsbildung starten, auf dem Arbeitsmarkt sehr gute Karten haben. Personen, die über einen Abschluss der höheren Berufsbildung (Tertiär B) verfügen, sind weniger erwerbslos als HochschulabgängerInnen (Tertiär A). Und die FachhochschulabgängerInnen weisen im Durchschnitt eine grössere private Bildungsrendite auf als AbgängerInnen der höheren Berufsbildung und der Universitäten. Das heisst, wer etwas erreichen möchte, kann dies sowohl über den gymnasialen wie über den Berufsbildungsweg erreichen.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travail.Suisse