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Selbstverantwortung dank Obligatorium

Drei Tage obligatorische Weiterbildung für alle, finanziert durch die Arbeitgeber: Diese Forderung von Travail.Suisse, der Dachorganisation der Arbeitnehmenden, stösst auf Seiten der Arbeitgeber in ersten Reaktionen auf Ablehnung. Der Grundkonflikt liegt dabei im Verständnis und der Bedeutung der Selbstverantwortung für die Weiterbildung.

In der Diskussion um die Weiterbildungspolitik wird oft der Begriff der Selbstverantwortung verwendet. Gemeint ist in diesem Zusammenhang, dass der Staat in diesen Bereich nicht (oder nur koordinierend) eingreifen soll. Für die Weiterbildung sind einerseits die Wirtschaft (Betriebe, Branchen) und andererseits die Arbeitnehmenden verantwortlich, so die oft vertretene Meinung.

Selbstverantwortung allein genügt nicht

Die statistischen Daten zur berufsorientierten Weiterbildung zeigen aber, dass die Selbstverantwortung allein nicht genügt. Es gibt zu viele Personen, die im System der Selbstverantwortung den Zugang zur Weiterbildung nicht finden. Die Hürden sind für viele zu hoch. Das Ergebnis ist eine gespaltene Gesellschaft, in der nur ein Teil von Weiterbildung profitiert, nämlich vor allem die gut ausgebildeten Personen. Das zu schaffende Weiterbildungsgesetz muss hier Gegensteuer geben. Es darf nicht sein, dass die Schweizer Wirtschaft das Potenzial der Weiterbildung nicht voll ausnutzt und viele Arbeitnehmende durch fehlende Weiterbildung Mühe haben, ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten.

Ein minimales Obligatorium zur Stärkung der Selbstverantwortung

Travail.Suisse fordert daher, dass ins neu zu schaffende Weiterbildungsgesetz folgender Artikel aufgenommen wird:

„Die Betriebe gewähren und finanzieren allen ihren Arbeitnehmenden drei Tage obligatorische Weiterbildung jährlich“.

Auf den ersten Blick scheint dies ein Eingriff in die Selbstverantwortung der Wirtschaft und der Arbeitnehmenden zu sein. Beim genaueren Hinsehen wird indes klar, dass mit dieser minimalen Forderung eine Stärkung der Selbstverantwortung verbunden ist.

Neue Weiterbildungsangebote für weniger Qualifizierte

Ein Weiterbildungsobligatorium wird dazu führen, dass endlich auch eine breitere Palette von Weiterbildungsangeboten für weniger qualifizierte Personen entstehen wird. Diese Angebote fehlen heute weitgehend. Es ist daher gerade auch für die Arbeitgeber und die Arbeitnehmenden hilfreich, wenn als Folge eines Obligatoriums ein Weiterbildungsangebot geschaffen wird, das sowohl inhaltlich wie auch didaktisch und methodisch den Bedürfnissen der weniger qualifizierten Arbeitnehmenden angepasst ist. Damit wird die Weiterbildung von weniger qualifizierten Arbeitnehmenden erst richtig möglich.

Ausbau der sozialpartnerschaftlichen Regelungen

Die Umsetzung des Obligatoriums wird auch begleitet sein vom Ausbau der Branchenfonds und der sozialpartnerschaftlichen Regelungen (Gesamtarbeitsverträge). Denn die Wirtschaft wird bestrebt sein, das Obligatorium so effizient und effektiv umzusetzen wie nur irgendwie möglich. Dazu bietet sich der Aufbau von branchenspezifischen Weiterbildungszentren an, die von Bildungsfonds getragen werden und sich zum Beispiel im Bausektor bewährt haben. Somit schränkt das minimale Obligatorium die Selbstverantwortung der Wirtschaft nicht ein, sondern wird sie eher stärken.

Mehr als drei Tage sind nicht verboten

Eine aktuelle Untersuchung des Bundesamtes für Statistik[1] zeigt, dass bei Personen, die einmal an einer Weiterbildung teilgenommen haben, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie weitere Kurse besuchen. Travail.Suisse fordert daher nur drei Tage obligatorische Weiterbildung pro Jahr. Wir gehen davon aus, dass dieses Minimum vielen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden den Anstoss dazu gibt, selbstverantwortlich mehr Weiterbildung zu wollen.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travail.Suisse

 

 

 

 

 



[1] https://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/15/07/ind19.indicator.190203.1902.html

 

Weiterbildungsobligatorium – na klar

Travail.Suisse, der Dachverband der Arbeitnehmenden, fordert, dass die Arbeitgeber ihren Angestellten obligatorisch mindestens drei Tage Weiterbildung pro Jahr ermöglichen und finanzieren. Diese Forderung soll im neu zu schaffenden Weiterbildungsgesetz verankert werden. Sie steht im Gegensatz zum heute prägenden Standpunkt, dass Weiterbildung allein Sache des Einzelnen ist. Travail.Suisse ist überzeugt, dass die Auseinandersetzung über diese zwei unterschiedlichen Positionen zeigen wird, dass für die Einführung eines minimalen Obligatoriums viele gute Gründe sprechen, gerade auch im Hinblick auf die Stärkung der Selbstverantwortung.

In der Schweiz existieren weder ein allgemeines Recht noch eine allgemeine Pflicht zur Weiterbildung. Prägender Begriff des schweizerischen Weiterbildungssystems ist der Begriff „Selbstverantwortung“. Beachtet man die Weiterbildungsstatistik der Schweiz, so wird man allerdings nicht umhin kommen zu sagen: Unter dem Prinzip „Selbstverantwortung“ ist zwar viel Positives entstanden. Aber insgesamt stellt sich die Weiterbildungssituation in der Schweiz als nicht besonders überzeugend dar. Vor allem weniger Qualifizierte, Angestellte in kleineren Betrieben, Personen in unteren Chargen und Frauen sind in der Weiterbildung massiv untervertreten. Was ist der Grund dafür?

Rahmenbedingungen sind nicht für alle gleich

Selbstverantwortung in Sachen Weiterbildung ist einfacher wahrzunehmen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In der Schweiz gilt der Grundsatz, dass wer über mehr persönliche Ressourcen (Bildung, Finanzen) verfügt, vom Arbeitgeber auch eher für Weiterbildungsmassnahmen in Form von Zeit und Geld unterstützt wird. Wer hingegen über weniger persönliche Ressourcen (Bildung, Finanzen) verfügt, wird vom Arbeitgeber kaum finanzielle und zeitliche Unterstützung erhalten. Für diese Personen ist es daher üblicherweise auch viel schwieriger und manchmal sogar unmöglich, an einer Weiterbildung teilzunehmen. Die Forderung, dass der Arbeitgeber allen Angestellten mindestens drei Tage Weiterbildung zu ermöglichen hat, möchte die frappante Ungleichbehandlung minimieren. Allen soll die Möglichkeit eröffnet werden, an Weiterbildung teilzunehmen.

Nicht auf die Verweigerer hören

Gegen diese Idee werden viele Arbeitgeber opponieren, vor allem jene, die nicht bereit sind, ihre Angestellten weiterzubilden. Für sich selber und ihren Betrieb fordern sie zwar optimale Wettbewerbsbedingungen (tiefe Steuern, wenig administrative Hürden, gut ausgebildetes Personal). Ihren Angestellten verweigern sie aber die Möglichkeit, auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. So kann es vorkommen, dass bei Betriebsschliessungen für Angestellte Lösungen gefunden werden müssen, die während 20 Jahren nie weitergebildet wurden und deshalb bildungsungewohnt sind. Sie sind kaum mehr arbeitsmarktfähig, wenig flexibel und damit schwer oder nicht mehr vermittelbar. Die Meinung der Verweigerer darf nicht der Standard einer modernen Industrie- und Dienstleistungswirtschaft sein. Die drei Tage obligatorische Weiterbildung müssen als Minimum für alle gelten.

Weiterbildung scheitert oft an der Planung

Viele Arbeitsverträge sehen heute schon die Möglichkeit von Weiterbildung vor. Oft werden die Möglichkeiten aber nicht genutzt. Warum? Ein wichtiger Grund ist, dass die Weiterbildung in einem Betrieb nicht – wie zum Beispiel die Ferien – geplant wird. Wenn dann der Wunsch aufkommt, diese oder jene Weiterbildung zu machen, fehlt oft die Zeit oder die Möglichkeit, sich dazu im Betrieb freizumachen. Ein Obligatorium würde hier Abhilfe schaffen, weil dann Weiterbildung frühzeitig in die Ressourcenplanung eines Betriebs aufgenommen werden muss.

Fehlende Angebote für wenig Qualifizierte

Die Weiterbildungssituation ist auch davon geprägt, dass das Angebot für wenig Qualifizierte nicht optimal ausgebaut ist. Weil die Arbeitgeber kaum oder wenig in die unteren Chargen investieren, ist auch kein entsprechender Markt entstanden. Kurse für Manager gibt es zuhauf. Bildungsangebote für Gruppenleiter auf unterer Stufe finden sich kaum. Ein Obligatorium würde diese Situation verändern und endlich auch ein spannendes Angebot für wenig qualifizierte Personen entstehen lassen, und zwar mit einer Methodik und Didaktik, die auf diese Personen besonders Rücksicht nimmt.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik, Travail.Suisse