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Bildungspolitik für ältere Arbeitnehmende

Die Schweiz verfügt über ein effizientes und – aufs Ganze gesehen – über ein gut funktionierendes Bildungssystem. Es steht allerdings vor neuen Herausforderungen. Der Fachkräftemangel verlangt, dass das Potential von inländischen Arbeitskräften besser ausgenutzt wird, auch das der älteren Arbeitnehmenden. Bisher hat diese Zielgruppe in den bildungspolitischen Diskussionen und Projekten keine oder kaum eine Rolle gespielt. Das muss sich ändern. Sollen die älteren Arbeitnehmenden vermehrt und wenn möglich bis zum Pensionierungsalter im Arbeitsmarkt bleiben und eine gewichtigere Rolle spielen, so ist alles zu unternehmen, damit sie ihre Beschäftigungsfähigkeit behalten und ausbauen können. Dies bedingt erstens, dass sie nicht mit zunehmendem Alter aufgrund von Dequalifizierung in berufliche Sackgassen geraten und trotz freien Stellen nicht angestellt werden. Zweitens müs-sen sie sich neue und notwendige Kompetenzen frühzeitig aneignen und sich so als wichtige Leistungsträger ausweisen und bewähren können.

Bildungspolitische Massnahmen zugunsten der älteren Arbeitnehmenden dürfen aber nicht erst bei den 50 oder 55-Jährigen ansetzen. Eine Bildungspolitik zugunsten der älteren Arbeitnehmenden darf nicht nur die Arbeitnehmenden 50+ einschliessen, sondern muss spätestens in der Mitte des Arbeitslebens beginnen, das heisst um das 40. Lebensjahr herum.

Ein wichtiges Element zur Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit der älteren Arbeitnehmenden besteht darin, die Laufbahnberatung für Erwachsene in der Lebensmitte zu intensivieren. Ein solcher Zwischenhalt schafft Überblick über die beruflichen Chancen, Risiken, Lücken und Wünsche und ermöglicht eine Bildungsplanung für die zweite Hälfte des Arbeitslebens zur Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit bis zum Pensionierungsalter.

Eine Weiterbildungspolitik für ältere Arbeitnehmende soll dafür besorgt sein, dass die Weiterbildung zielgruppenspezifisch erfolgt, das heisst, die Bedürfnisse und besonderen Anliegen älter werdender Arbeitnehmender müssen ernst genommen werden.

Für älter werdende Personen mit einem Qualifizierungsbedarf (Wiedereinsteiger/innen, erwachsene Berufseinsteiger/innen und Berufswechsler/innen) sind übergeordnete Konzepte zu entwickeln, die Auskunft geben über die Ziele, die umzusetzenden Massnahmen, die Finanzierung, die Organisation, die Verantwortlichkeiten und das Monitoring. Dabei muss klar rüberkommen: Erstens: Auch älter werdende Arbeitnehmende sind nicht zu alt für gezielte Bildungsmassnahmen. Und zweitens: Es lohnt sich für die Personen selber wie auch für die Wirtschaft und Gesellschaft, wenn im vorgerückten Alter noch berufliche Korrekturen vorgenommen werden.

Positionspapier_Ältere Arbeitnehmende

Die Hochschulweiterbildung steht in der Pflicht

Eine Aufgabe der Hochschulen ist es, Weiterbildungen anzubieten. Ich bin überzeugt, dass die Weiterbildung mit dem „Lebenslangen Lernen“ zusätzlich an Bedeutung gewinnen wird. Doch die Hochschulweiterbildung muss sich bewegen: Sowohl das neue Weiterbildungsgesetz (WeBiG) wie auch das Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz (HFKG) nehmen sie in die Pflicht.

Der Hochschulrat als Teil der Schweizerischen Hochschulkonferenz hat die Aufgabe, „Weiterbildung in Form von einheitlichen Rahmenvorschriften“ zu regeln (HFKG Art. 12) und die Grundsätze des Weiterbildungsgesetzes (WeBiG Art. 5-9) umzusetzen (vgl. WeBiG Art. 2.2).

Diese ‚einheitlichen Rahmenvorschriften‘ werden über folgende Punkte Auskunft geben müssen:
• über die Weiterbildungsformate (MAS, CAS, DAS etc.),
• über die Zulassung zur Hochschulweiterbildung,
• über die Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung,
• über die Anrechenbarkeit von Bildungsleistungen
• darüber, wie Wettbewerbsverzerrungen in der Weiterbildung vermieden werden können.

Während einige Rahmenvorschriften einfacher umzusetzen sind, sind andere Punkte regelrechte Knacknüsse: Die Zulassungsbedingungen beispielsweise werden eine erste Knacknuss bilden, denn die heutigen Regelungen der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten CRUS sind noch zu unscharf, um wirklich als Kriterien dienen zu können. Konkreter sind die Empfehlungen der Konferenz der Fachhochschulen KFH. Ihnen fehlen  allerdings Überlegungen zur Zulassung von Personen aus der Höheren Berufsbildung (Tertiär-B-Bereich). Eine zweite Knacknuss bildet die vorgesehene Aufnahme der Hochschulweiterbildung in die Akkreditierungsrichtlinien. Damit wäre zwar ein wichtiger Schritt für Qualitätssicherung und -entwicklung getan, doch jede Hochschule wird dann die geplanten Rahmenvorschriften in ihre Qualitätssicherungsstrategie bzgl. Weiterbildungsbereich implementieren müssen.

Viel zu reden geben werden auch die Regelungen zum Verbot von Wettbewerbsverzerrungen. Dabei geht es bei diesem Thema nicht nur um Wettbewerbsverzerrungen zwischen Weiterbildungen der öffentlichen Hochschulen und Weiterbildungen der privaten Anbieter, sondern auch um Wettbewerbsverzerrungen gegenüber Anbietern der Höheren Berufsbildung. Im Artikel 3i HFKG heisst es:
„Der Bund verfolgt im Rahmen der Zusammenarbeit im Hochschulbereich insbesondere die folgen-den Ziele: (…) i. Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen bei Dienstleistungen und Angeboten im Weiterbildungsbereich von Institutionen des Hochschulbereichs gegenüber Anbietern der höhe-ren Berufsbildung.“
Die Botschaft zum HFKG weist dabei in diesem Zusammenhang auf das „Verbot der Subventionierung der Weiterbildungen im Hochschulbereich oder das Verbot, ähnlich lautende Titel oder Angebotsbezeichnungen wie in der höheren Berufsbildung anzubieten“, hin. Aus meiner Sicht  ist es sinnvoll, dass die Weiterbildungsverantwortlichen der Hochschulen bezüglich Artikel 3i HFKG das Gespräch mit den Vertretungen der Höheren Berufsbildung suchen. Solche Gespräche sind hilfreich für eine bessere Problemerfassung wie auch für eine konstruktive Problemlösung.

 

Weg frei für das erste eidgenössische Weiterbildungsgesetz

Communiqué

Heute hat der Nationalrat die letzten beiden Differenzen zum Ständerat bereinigt und damit den Weg frei gemacht zum ersten eidgenössischen Weiterbildungsgesetz (WeBiG). Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, ist darüber sehr erfreut. Damit wird erstmals eine koordinierte Weiterbildungspolitik auf nationaler Ebene möglich.

Besonders begrüsst Travail.Suisse die Regelungen über die Grundkompetenzen. In Zukunft hat sich der Bund gemeinsam mit den Kantonen dafür einzusetzen, dass Erwachsenen mit fehlenden Grundkompetenzen der Erwerb dieser Grundkompetenzen und deren Erhalt ermöglicht wird (vgl. Art. 14 WeBiG). Die Grundkompetenzen sind eine wichtige Voraussetzung für die berufliche Nachholbildung Erwachsener und die Beteiligung weiterbildungsferner Personen an der Weiterbildung. Für die Zukunft wichtig ist auch, dass das Gesetz Bund und Kantone zur Koordination ihrer Aktivitäten im Weiterbildungsbereich auffordert (vgl. Art. 4d). „Dank den koordinierten Aktivitäten können Zielgruppen erreicht werden, die bisher nicht in den Genuss von Weiterbildung gekommen sind“, ist Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik bei Travail.Suisse, überzeugt.

Das Weiterbildungsgesetz – Eine Bewertung aus Sicht von Travail.Suisse

Vortrag gehalten anlässlich der Fachkommissionsitzung Wissenschaft, Bildung und Kultur der SP Schweiz:
Dienstag, 11. Juni 2013, 18.15-19.45 Uhr, Bundeshaus, Zimmer 286.

Grundsätzliche Bemerkungen:
Dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf kann zugestimmt werden. Er enthält keine grundsätzlichen Fehler, die dazu zwingen würden, ihn abzulehnen. Allerdings ist in der parlamentarischen Arbeit daraufhin zu arbeiten, dass das Gesetz durch einige Anpassungen aufgewertet wird.

Definition von Weiterbildung Art. 3:
Mit der vorliegenden Definition des lebenslangen Lernens kann man leben.

  • Sie bringt Klarheit in die Begrifflichkeit. Allerdings nur, wenn sie sauber angewendet wird, was gerade bei Statistiken oft Probleme schafft.
  • Mit dieser Definition in Art. 3 lässt sich das Problem der Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung darstellen (vgl. Art. 7)
  • Die Definition macht aber auch darauf aufmerksam, worüber das Weiterbildungsgesetz schweigt, nämlich über das Phänomen der Weiterbildungsabschlüsse. Sie existieren. Sie kommen aber in der Definition nicht vor.-

Das Weiterbildungsgesetz muss in Art. 3 die Weiterbildungsabschlüsse aufnehmen:

Art 3. Begriffe
In diesem Gesetz bedeuten:
1. Weiterbildung (nicht-formale Bildung): strukturierte Bildung ausserhalb der formalen Bildung, (neu) die zu Weiterbildungsabschlüssen führen kann.

Weiterbildungsabschlüsse (neu)
Weiterbildungsabschlüsse spielen in der Bildungslandschaft aus zwei Gründen eine wichtige Rolle:

Erstens ermöglichen sie im nichtformalen Bildungsbereich standardisierte Abschlüsse, die gerade im Verfahren zur Anrechnung von Weiterbildung an die formale Bildung wichtig sein können und auch auf dem Arbeitsmarkt ihren Wert haben.

Zweitens entlasten die Weiterbildungsabschlüsse das formale System, indem sie einen Bildungsbereich ordnen, ohne dass der Staat eingreifen muss (Modularisierung, Referenzrahmen, standardisierte Abschlüsse).

Gesetzlich wäre es sinnvoll, wenn in Artikel 12 erwähnt würde, dass der Bund Organisationen der Weiterbildung darin unterstützen kann, Weiterbildungsabschlüsse aufzubauen.

Zudem wäre es sinnvoll, wenn im Gesetz (z.B. im Artikel 7) erwähnt würde, dass Weiterbildungsabschlüsse unter bestimmten Bedingungen zum Nationalen Qualifikationsrahmen referenziert werden können.

Verantwortung Art. 5
Nach dem Weiterbildungsgesetz sollen die Arbeitgeber die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begünstigen. Diese Bestimmung wird gemäss dem erläuternden Bericht als Appell, nicht als Verpflichtung verstanden. Das heisst die Arbeitgeber, die diesem Appell nicht nachkommen, haben keine Konsequenzen zu fürchten. Die Bedeutung dieser Bestimmung liegt daher nahe bei Null. Das Weiterbildungsgesetz sollte daher eine Bestimmung aufnehmen, die Konsequenzen für die Arbeitgeber vorsieht, welche die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden nicht begünstigen.

1 Der einzelne Mensch trägt für sich die Verantwortung, sich weiterzubilden.
2 Die öffentlichen und die privaten Arbeitgeber begünstigen die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (neu) Die Verordnung regelt die Sanktionsmöglichkeiten für die Nichtwahrnahme dieser Aufgabe.

Mit Sanktionen reagiert werden muss, wenn z.B. Betriebe nicht bereit sind, im Zusammenhang mit Projekten im Bereich der Grundkompetenzen zu kooperieren oder Angestellte erwerbslos werden. Beim Eintritt der Erwerbslosigkeit soll festgestellt werden, ob eine Person – rückblickend auf die letzten zehn Jahre – Weiterbildung erhalten hat oder nicht. Arbeitgeber, die nichts oder zu wenig unternommen haben, um ihre MitarbeiterInnen weiterzubilden, sollen bis zu maximal 66 Taggelder (drei Monate) der Arbeitslosenkasse übernehmen müssen.

Im Grundsatz soll gelten, dass Arbeitnehmende im Durchschnitt drei Tage Weiterbildung pro Jahr erhalten. Die Dauer der Weiterbildung wie auch die vermittelten Fähigkeiten und Kompetenzen werden in einer Bestätigung festgehalten.

Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung Art. 7
Die Bildungsgesetzgebung sieht die Möglichkeit von Nachholbildungen, zum Beispiel durch Anerkennung von Bildungsleistungen, vor. Es ist aber heute nicht so ausgestaltet, dass Nachholbildungen bewusst gefördert werden. Der Arbeitsmarkt ist jedoch aufgrund der demografischen Entwicklung und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels verstärkt auf Nachholbildungen angewiesen, insbesondere auf Nachholbildungen von Personen, die noch über keinen beruflichen Erstabschluss verfügen. Eine Studie von Travail.Suisse zeigt, dass in der Schweiz von den rund 600’000 Personen im erwerbsfähigen Alter ohne beruflichen Erstabschluss rund 52’000 Personen sich sehr eignen würden, eine Nachholbildung über die Anerkennung von Bildungsleistungen zu erreichen. Um dieses Potential auszunützen, schlägt Travail.Suisse eine gesetzliche Regelung im Weiterbildungsgesetz vor, und zwar eine Ergänzung im Artikel 7:

«Art. 7 Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung
1 Bund und Kantone sorgen mit ihrer Gesetzgebung für transparente und möglichst gleichwertige Verfahren zur Anrechenbarkeit von Weiterbildung und informeller Bildung an die formale Bildung.
3 (neu) Sie ergreifen zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt Massnahmen, die erwerbstätige Personen ohne berufliche Grundbildung auf die anderen Qualifikationsverfahren (Nachholbildung) vorbereiten.»

Es wäre schade, wenn diese Chance nicht gepackt und das Potential an Nachholbildungen nicht genützt würde. Denn die Alternative zu mehr Nachholbildungen sind erstens mehr Migration und zweitens höhere Kosten bei der sozialen Sicherheit.

Lösung von gesellschaftlichen Problemen
Weiterbildung kann mithelfen, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Diese Möglichkeit wird leider im vorliegenden Gesetzesentwurf in keiner Art und Weise ergriffen. Dabei könnte mit einer kleinen Bestimmung und einem bescheidenen Budget der gesellschaftliche Wert des Weiterbildungsgesetzes massiv erhöht werden. Die Idee, dass Problemlösungen immer über Spezialgesetze angepackt werden sollen und daher im Weiterbildungsgesetz keine Fördertatbestände aufgeführt werden dürfen, schwächt die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit. Nicht für alle gesellschaftlichen Probleme braucht es ein Spezialgesetz. Manchmal genügt eine Anschubfinanzierung über einen Projektfonds, um die Lösung gesellschaftlicher Probleme anzustossen. Solche Projekte sind zum Beispiel in der Seniorenbildung[1] denkbar, aber auch in der Elternbildung oder in der politischen Bildung.

Travail.Suisse erachtet es als absolut notwendig, dass das Weiterbildungsgesetz einen Projektfonds zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen vorsieht. Ohne einen solchen Fonds von etwa 12 Millionen Franken pro Jahr vergibt sich die Schweiz eine grosse Chance, mit relativ geringen Mitteln, die Weiterbildung zu einem wichtigen Instrument der gesellschaftlichen Problemlösung zu machen.

Reform der berufsorientierten Weiterbildung
Travail.Suisse schlägt vor, dass parallel zur Diskussion des Weiterbildungsgesetzes auch die Artikel im Berufsbildungsgesetz zur berufsorientierten Weiterbildung (Art.30-32 BBG) reformiert werden. Um wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem Wiedereinstieg, den älteren Arbeitnehmenden und der Nachholbildung lösen zu können, ist eine Reform absolut nötig.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travail.Suisse

 


[1] Beispiel: In Zukunft sind wir vielleicht darauf angewiesen, dass ehrenamtliche Senioren und Seniorinnen bei der Begleitung von Demenzkranken mithelfen. Ein Projektfonds im Weiterbildungsgesetz sollte ermöglichen, dass eine kompetente Organisation eine Anschubfinanzierung erhält, um ein Projekt aufzubauen, in deren Folge ehrenamtliche BegleiterInnen  ausgebildet werden können. Die Anschubfinanzierung umfasst z.B. die Finanzierung des Projektleiters in der Aufbauphase, die Erstellung der Bildungsunterlagen und die Ausbildung der ersten AusbildnerInnen, die vor Ort mit den Senioren und Seniorinnen arbeiten.

Nachholbildungen gezielt fördern

Für Travail.Suisse ist es unabdingbar, dass das Weiterbildungsgesetz in Zukunft einen Beitrag zur Nachholbildung von Personen leistet, insbesondere von Personen, die über keinen beruflichen Erstabschluss verfügen. Dazu schlägt Travail.Suisse eine Bestimmung vor, welche Bund und Kantone zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt zu Massnahmen verpflichtet, die erwerbstätige Personen ohne berufliche Grundbildung auf die anderen Qualifikationsverfahren (Nachholbildung) vorbereiten.

Die schweizerische Gesetzgebung sieht die Möglichkeit von Nachholbildungen vor. Eine berufliche Nachholbildung kann zum Beispiel über eine Validierung der Bildungsleistungen, eine verkürzte Lehre oder ein Qualifikationsverfahren nach Artikel 32 der Berufsbildungsverordnung erfolgen. Die Gesetzgebung sieht aber nicht vor, dass Nachholbildungen bewusst gefördert werden. Der Arbeitsmarkt ist jedoch aufgrund der demografischen Entwicklung und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels verstärkt auf Nachholbildungen angewiesen, insbesondere auf Nachholbildungen von Personen, die noch über keinen beruflichen Erstabschluss verfügen. Zudem funktioniert der Arbeitsmarkt heute so, dass eine Ausbildung auf Sekundarstufe II als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche und nachhaltige Integration in den ersten Arbeitsmarkt anzusehen ist. Bildungspolitisch ist daher die Nachholbildung zu einem der zentralen Themen der nächsten Jahre zu machen.

Ergebnis einer Studie von Travail.Suisse

Eine Studie von Travail.Suisse zeigt, dass sich in der Schweiz von den rund 600’000 Personen im erwerbsfähigen Alter ohne beruflichen Erstabschluss rund 52’000 sehr eignen würden, eine Nachholbildung über die Anerkennung von Bildungsleistungen zu erreichen. Um dieses Potenzial auszunützen, schlägt Travail.Suisse zum einen ein Commitment unter den Verbundpartnern vor, zum andern eine gesetzliche Regelung im gegenwärtig diskutierten Weiterbildungsgesetz.

Commitment unter den Verbundpartnern

Um die berufliche Nachholbildung von Erwachsenen ohne Berufsabschluss zu fördern, ist es sinnvoll, unter den Verbundpartnern der Berufsbildung ein Commitment auszuarbeiten. Dieses soll einerseits die anzustrebenden Ziele, die zu ergreifenden Massnahmen und die Verantwortlichkei-ten festlegen, andererseits aber auch die Umsetzung ermöglichen. In beiden Phasen ist auf die Möglichkeit der Projektförderung nach Artikel 54 und 55 des Berufsbildungsgesetzes zurückzugreifen. Dank dieser gesetzlichen Grundlage hat der Bund die Möglichkeit, die Analyse- und Pla-nungsarbeit mitzufinanzieren und geeignete Massnahmen zu unterstützen.

Chance „Weiterbildungsgesetz“

Das Commitment wird gestärkt, wenn die Förderung der Nachholbildung auch gesetzlich verankert wird. Gegenwärtig besteht die Chance, im neu zu schaffenden Weiterbildungsgesetz eine entspre-chende Regelung aufzunehmen. Beim aktuellen Stand der Diskussion kann davon ausgegangen werden, dass das Weiterbildungsgesetz vorsieht, dass nichtformale und informelle Bildung an die formale Bildung, zum Beispiel an die berufliche Grundbildung, angerechnet wird. Damit nimmt auch das Weiterbildungsgesetz das Thema «Nachholbildung» auf. Aber wie im Berufsbildungsgesetz wird auch im Weiterbildungsgesetz die Nachholbildung nur geregelt, nicht gefördert. Dies ist mit einer entsprechenden Ergänzung im Artikel 7 zu korrigieren:

«Art. 7 Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung

1 Bund und Kantone sorgen mit ihrer Gesetzgebung für transparente und möglichst gleichwertige Verfahren zur Anrechenbarkeit von Weiterbildung und informeller Bildung an die formale Bildung.

3 (neu) Sie ergreifen zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt Massnahmen, die erwerbstätige Personen ohne berufliche Grundbildung auf die anderen Qualifikationsverfahren (Nachholbildung) vorbereiten.»

Mit einer solchen Regelung könnte eine Politik entwickelt werden, welche die Weiterbildungsbetei-ligung der Personen ohne berufliche Erstausbildung erhöhen würde. Denn diese Gruppe beteiligt sich nur halb so viel an der Weiterbildung wie Personen, die über einen Abschluss auf Sekundarstufe II verfügen . Damit fehlen der Gruppe der Ausbildungslosen aber wichtige Voraussetzungen, um einen verbesserten Zugang zur Nachholbildung zu finden. Denn fehlende Weiterbildung ist eines der Hindernisse, welches dieser Gruppe den Zugang zur Nachholbildung erschwert. Travail.Suisse wird sich dafür einsetzen, dass die Politik die Chance „Weiterbildungsgesetz“ packt und das Potenzial an Nachholbildungen ausnützt. Denn fehlende Nachholbildungen bedeuten erstens mehr Migration und zweitens höhere Kosten bei der sozialen Sicherheit.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik, Travail.Suisse (13.05.2013)

 

Ältere Arbeitnehmende und die Bildung

Für Travail.Suisse ist klar: Die Schweiz braucht eine Weiterbildungspolitik, die sich auch mit der Zielgruppe „ältere Arbeitnehmende“ auseinandersetzt. Dazu ist es notwendig, das Berufsbildungsgesetz so zu ändern, dass die älteren Arbeitnehmenden eine Zielgruppe der berufsorientierten Weiterbildung (Art. 30-32 BBG) werden und Massnahmen zur Förderung der Weiterbildung von älteren Arbeitnehmenden nach Art. 55 BBG in Zukunft möglich sind.

Die nationale Politik weiss angesichts der demografischen Entwicklung um die Bedeutung einer hohen Arbeitsmarktbeteiligung[1] der älteren Arbeitnehmenden[2]. In nationalen Bildungsgesetzen hat sich diese Erkenntnis aber noch nicht niedergeschlagen. Weder im Berufsbildungsgesetz noch im Weiterbildungsgesetz, das gegenwärtig als bundesrätlicher Entwurf vorliegt, sind die älteren Arbeitnehmenden erwähnt. Sie werden auf Gesetzesebene nicht als spezielle Zielgruppe von Weiterbildung angesehen. Entsprechend fehlen heute auch Bildungsprojekte, welche die Zielgruppe „ältere Arbeitnehmende“ im Fokus haben.

Ältere Arbeitnehmende werden wichtiger für die Wirtschaft

Die demografische Entwicklung führt dazu, dass es im Arbeitsmarkt im Verhältnis zu allen Arbeitnehmenden immer mehr ältere Arbeitnehmende gibt. Damit erarbeiten ältere Arbeitnehmende einen wachsenden Anteil am Bruttosozialprodukt, und der Erhalt ihrer Arbeitsfähigkeit wird wirtschaftlich bedeutsamer[3]. Sollen sie aber die Erwartungen des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft erfüllen können, müssen sie auch im fortgeschrittenen Alter über die notwendigen Kompetenzen verfügen. Die Bildung darf dabei zwei grundlegende Ziele nicht aus den Augen verlieren:

  • Erstens darf es nicht zu De-qualifizierungen kommen. Es muss unbedingt verhindert werden, dass ältere Arbeitnehmende aufgrund von Verschiebungen im Anforderungsprofil, innerbetrieblichen Veränderungen, Wegfall von Tätigkeitsfeldern, technischen Entwicklungen oder einer zu starken Spezialisierung ihres Berufs aus dem Arbeitsmarkt herausfallen, an den Rand gedrängt oder demotiviert werden.
  • Zweitens muss Bildung die Voraussetzungen für eine zweite Karriere schaffen. Jüngere Arbeitnehmende verbinden mit Bildung vor allem eine Karriere nach oben. Daraus ziehen sie ihre Motivation. Ältere Arbeitnehmende hingegen sind eher an einer horizontalen Karriere interessiert, das heisst an einer beruflichen Entwicklung, welche ihre Bedürfnisse ernst nimmt. Dazu gehört etwa, dass sie trotz beruflichen Veränderungen eine interessante Arbeit ausführen können und ihre Arbeit geschätzt wird.

Damit diese zwei Ziele erreicht werden können, ist permanente Bildung notwendig. Das heisst ganz konkret drei Dinge:

  • Erstens braucht es für ältere Arbeitnehmende einen regelmässigen Zugang zur Bildung, und zwar frühzeitig. Grundsätzlich sollte eigentlich der Bildungsfaden nie abreissen. Alle Arbeitnehmende sollten am lebensbegleitenden Lernen beteiligt sein, damit sie beruflich nicht in Sackgassen geraten. Ist aber der Zugang zur Bildung verloren gegangen, so sollten die Betriebe spätestens die Personen ab 45 wieder in den Bildungsprozess zurückführen. Das widerspricht aber in starker Art und Weise der heutigen Personalpolitik.
  • Zweitens brauchen die älteren Arbeitnehmenden den Zugang zu einer Weiterbildung, die ihnen entspricht, die Themen behandelt, die sie interessieren und Fragen aufnimmt, die sie beschäftigen. Zudem sollten die Weiterbildungen helfen, De-qualifizierungen abzubauen und horizontale Karrieren zu ermöglichen.
  • Drittens braucht es Weiterbildungen, die richtig vermittelt werden, bei denen also die Didaktik und Methodik stimmen, das heisst auf ältere Arbeitnehmende zugeschnitten sind. So sollen sie zum Beispiel berücksichtigen, dass ältere Arbeitnehmende mit vielen beruflichen Erfahrungen an einer Weiterbildung teilnehmen und meistens nicht nur Neues lernen müssen, sondern auch Altes „überlernen“ müssen.

Ein neues Bild der älteren Arbeitnehmenden

Nimmt man die Demografie ernst, so muss sich in der Arbeitswelt ein neues Bild der älteren Arbeitnehmenden durchsetzen. Dazu gehören folgende Facetten:

  •  Weiterbildung ist nicht nur für die jungen, sondern auch in zunehmendem Masse für die älteren Arbeitnehmenden notwendig und wichtig.
  • Es braucht eine Weiterbildungskultur, welche die älteren Arbeitnehmenden mit ihren spezifischen Bedürfnissen ernster nimmt und sich sowohl thematisch wie auch methodisch und didaktisch diesem Zielpublikum zuwendet.
  • In Zukunft können sich die Betriebe nicht einfach darauf verlassen, dass Innovationen über die Anstellung von jüngeren Arbeitnehmenden bewältigt werden können. Vielmehr müssen sie sich überlegen, wie mit und dank den älteren Arbeitnehmenden Innovationen möglich werden.
  •   Ältere Arbeitnehmende verfügen über eine längere Berufserfahrung als jüngere Arbeitnehmende. Es muss erreicht werden, dass ihre Erfahrungen nicht zum Hindernis von Entwicklungen, sondern gerade zur Basis von Entwicklungen werden können.
  • Jüngere Arbeitnehmende motivieren sich für Weiterbildungen über die Hoffnung auf einen Karriereschritt nach oben und einen höheren Lohn. Die Arbeitswelt muss sich so präsentieren, dass auch ältere Arbeitnehmende ohne weitere Karrierehoffnungen nach oben sich für Weiterbildungen motivieren können.

Forderung an die Bildungspolitik

Die Bildung kann mit ihren Instrumenten mithelfen, die Arbeitsmarktfähigkeit der älteren Arbeitnehmenden zu stärken, indem sie im Berufsbildungsgesetz für ihr Handeln eine gesetzliche Basis schafft. Diese könnte folgendermassen aussehen:

 Art. 32 Massnahmen des Bundes

1 Der Bund fördert die berufsorientierte Weiterbildung.

2 Er unterstützt insbesondere Angebote, die darauf ausgerichtet sind:

  1. Personen bei Strukturveränderungen in der Berufswelt den Verbleib im Erwerbsleben zu ermöglichen;
  2. Personen, die ihre Berufstätigkeit vorübergehend eingeschränkt oder aufgegeben haben, den Wiedereinstieg zu ermöglichen.
  3. (neu) durch geeignete Massnahmen die Arbeitsmarktfähigkeit der älteren Arbeitnehmenden zu erhalten und zu verbessern.

 Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travailsuisse (04.06.13)

 

[1] Fachkräfteinitiative – Situationsanalyse und Massnahmenbericht, herausgegeben vom Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF und der Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren VDK, 07. März 2013, S.16.

[2] Vgl. Antwort des Bundesrates auf die Interpellation 11.3112.

[3] François Höpflinger, Ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, S. 5, www.hoepflinger.com , letzte Änderungen: 1. Februar 2013.

Selbstverantwortung dank Obligatorium

Drei Tage obligatorische Weiterbildung für alle, finanziert durch die Arbeitgeber: Diese Forderung von Travail.Suisse, der Dachorganisation der Arbeitnehmenden, stösst auf Seiten der Arbeitgeber in ersten Reaktionen auf Ablehnung. Der Grundkonflikt liegt dabei im Verständnis und der Bedeutung der Selbstverantwortung für die Weiterbildung.

In der Diskussion um die Weiterbildungspolitik wird oft der Begriff der Selbstverantwortung verwendet. Gemeint ist in diesem Zusammenhang, dass der Staat in diesen Bereich nicht (oder nur koordinierend) eingreifen soll. Für die Weiterbildung sind einerseits die Wirtschaft (Betriebe, Branchen) und andererseits die Arbeitnehmenden verantwortlich, so die oft vertretene Meinung.

Selbstverantwortung allein genügt nicht

Die statistischen Daten zur berufsorientierten Weiterbildung zeigen aber, dass die Selbstverantwortung allein nicht genügt. Es gibt zu viele Personen, die im System der Selbstverantwortung den Zugang zur Weiterbildung nicht finden. Die Hürden sind für viele zu hoch. Das Ergebnis ist eine gespaltene Gesellschaft, in der nur ein Teil von Weiterbildung profitiert, nämlich vor allem die gut ausgebildeten Personen. Das zu schaffende Weiterbildungsgesetz muss hier Gegensteuer geben. Es darf nicht sein, dass die Schweizer Wirtschaft das Potenzial der Weiterbildung nicht voll ausnutzt und viele Arbeitnehmende durch fehlende Weiterbildung Mühe haben, ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten.

Ein minimales Obligatorium zur Stärkung der Selbstverantwortung

Travail.Suisse fordert daher, dass ins neu zu schaffende Weiterbildungsgesetz folgender Artikel aufgenommen wird:

„Die Betriebe gewähren und finanzieren allen ihren Arbeitnehmenden drei Tage obligatorische Weiterbildung jährlich“.

Auf den ersten Blick scheint dies ein Eingriff in die Selbstverantwortung der Wirtschaft und der Arbeitnehmenden zu sein. Beim genaueren Hinsehen wird indes klar, dass mit dieser minimalen Forderung eine Stärkung der Selbstverantwortung verbunden ist.

Neue Weiterbildungsangebote für weniger Qualifizierte

Ein Weiterbildungsobligatorium wird dazu führen, dass endlich auch eine breitere Palette von Weiterbildungsangeboten für weniger qualifizierte Personen entstehen wird. Diese Angebote fehlen heute weitgehend. Es ist daher gerade auch für die Arbeitgeber und die Arbeitnehmenden hilfreich, wenn als Folge eines Obligatoriums ein Weiterbildungsangebot geschaffen wird, das sowohl inhaltlich wie auch didaktisch und methodisch den Bedürfnissen der weniger qualifizierten Arbeitnehmenden angepasst ist. Damit wird die Weiterbildung von weniger qualifizierten Arbeitnehmenden erst richtig möglich.

Ausbau der sozialpartnerschaftlichen Regelungen

Die Umsetzung des Obligatoriums wird auch begleitet sein vom Ausbau der Branchenfonds und der sozialpartnerschaftlichen Regelungen (Gesamtarbeitsverträge). Denn die Wirtschaft wird bestrebt sein, das Obligatorium so effizient und effektiv umzusetzen wie nur irgendwie möglich. Dazu bietet sich der Aufbau von branchenspezifischen Weiterbildungszentren an, die von Bildungsfonds getragen werden und sich zum Beispiel im Bausektor bewährt haben. Somit schränkt das minimale Obligatorium die Selbstverantwortung der Wirtschaft nicht ein, sondern wird sie eher stärken.

Mehr als drei Tage sind nicht verboten

Eine aktuelle Untersuchung des Bundesamtes für Statistik[1] zeigt, dass bei Personen, die einmal an einer Weiterbildung teilgenommen haben, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie weitere Kurse besuchen. Travail.Suisse fordert daher nur drei Tage obligatorische Weiterbildung pro Jahr. Wir gehen davon aus, dass dieses Minimum vielen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden den Anstoss dazu gibt, selbstverantwortlich mehr Weiterbildung zu wollen.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travail.Suisse

 

 

 

 

 



[1] https://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/15/07/ind19.indicator.190203.1902.html

 

Weiterbildungsobligatorium – na klar

Travail.Suisse, der Dachverband der Arbeitnehmenden, fordert, dass die Arbeitgeber ihren Angestellten obligatorisch mindestens drei Tage Weiterbildung pro Jahr ermöglichen und finanzieren. Diese Forderung soll im neu zu schaffenden Weiterbildungsgesetz verankert werden. Sie steht im Gegensatz zum heute prägenden Standpunkt, dass Weiterbildung allein Sache des Einzelnen ist. Travail.Suisse ist überzeugt, dass die Auseinandersetzung über diese zwei unterschiedlichen Positionen zeigen wird, dass für die Einführung eines minimalen Obligatoriums viele gute Gründe sprechen, gerade auch im Hinblick auf die Stärkung der Selbstverantwortung.

In der Schweiz existieren weder ein allgemeines Recht noch eine allgemeine Pflicht zur Weiterbildung. Prägender Begriff des schweizerischen Weiterbildungssystems ist der Begriff „Selbstverantwortung“. Beachtet man die Weiterbildungsstatistik der Schweiz, so wird man allerdings nicht umhin kommen zu sagen: Unter dem Prinzip „Selbstverantwortung“ ist zwar viel Positives entstanden. Aber insgesamt stellt sich die Weiterbildungssituation in der Schweiz als nicht besonders überzeugend dar. Vor allem weniger Qualifizierte, Angestellte in kleineren Betrieben, Personen in unteren Chargen und Frauen sind in der Weiterbildung massiv untervertreten. Was ist der Grund dafür?

Rahmenbedingungen sind nicht für alle gleich

Selbstverantwortung in Sachen Weiterbildung ist einfacher wahrzunehmen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In der Schweiz gilt der Grundsatz, dass wer über mehr persönliche Ressourcen (Bildung, Finanzen) verfügt, vom Arbeitgeber auch eher für Weiterbildungsmassnahmen in Form von Zeit und Geld unterstützt wird. Wer hingegen über weniger persönliche Ressourcen (Bildung, Finanzen) verfügt, wird vom Arbeitgeber kaum finanzielle und zeitliche Unterstützung erhalten. Für diese Personen ist es daher üblicherweise auch viel schwieriger und manchmal sogar unmöglich, an einer Weiterbildung teilzunehmen. Die Forderung, dass der Arbeitgeber allen Angestellten mindestens drei Tage Weiterbildung zu ermöglichen hat, möchte die frappante Ungleichbehandlung minimieren. Allen soll die Möglichkeit eröffnet werden, an Weiterbildung teilzunehmen.

Nicht auf die Verweigerer hören

Gegen diese Idee werden viele Arbeitgeber opponieren, vor allem jene, die nicht bereit sind, ihre Angestellten weiterzubilden. Für sich selber und ihren Betrieb fordern sie zwar optimale Wettbewerbsbedingungen (tiefe Steuern, wenig administrative Hürden, gut ausgebildetes Personal). Ihren Angestellten verweigern sie aber die Möglichkeit, auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. So kann es vorkommen, dass bei Betriebsschliessungen für Angestellte Lösungen gefunden werden müssen, die während 20 Jahren nie weitergebildet wurden und deshalb bildungsungewohnt sind. Sie sind kaum mehr arbeitsmarktfähig, wenig flexibel und damit schwer oder nicht mehr vermittelbar. Die Meinung der Verweigerer darf nicht der Standard einer modernen Industrie- und Dienstleistungswirtschaft sein. Die drei Tage obligatorische Weiterbildung müssen als Minimum für alle gelten.

Weiterbildung scheitert oft an der Planung

Viele Arbeitsverträge sehen heute schon die Möglichkeit von Weiterbildung vor. Oft werden die Möglichkeiten aber nicht genutzt. Warum? Ein wichtiger Grund ist, dass die Weiterbildung in einem Betrieb nicht – wie zum Beispiel die Ferien – geplant wird. Wenn dann der Wunsch aufkommt, diese oder jene Weiterbildung zu machen, fehlt oft die Zeit oder die Möglichkeit, sich dazu im Betrieb freizumachen. Ein Obligatorium würde hier Abhilfe schaffen, weil dann Weiterbildung frühzeitig in die Ressourcenplanung eines Betriebs aufgenommen werden muss.

Fehlende Angebote für wenig Qualifizierte

Die Weiterbildungssituation ist auch davon geprägt, dass das Angebot für wenig Qualifizierte nicht optimal ausgebaut ist. Weil die Arbeitgeber kaum oder wenig in die unteren Chargen investieren, ist auch kein entsprechender Markt entstanden. Kurse für Manager gibt es zuhauf. Bildungsangebote für Gruppenleiter auf unterer Stufe finden sich kaum. Ein Obligatorium würde diese Situation verändern und endlich auch ein spannendes Angebot für wenig qualifizierte Personen entstehen lassen, und zwar mit einer Methodik und Didaktik, die auf diese Personen besonders Rücksicht nimmt.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik, Travail.Suisse